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Wiesbaden

Bücheroase in der Großstadt

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Wer nach kleinen und besonderen Buchhandlungen sucht, wird in Wiesbaden fündig. In dieser Ausgabe stellen wir die Buchhandlung des Antiquariats H. J. von Goetz in der Rheinstraße vor.

von Shayan Julien Mirmoayedi

Es gibt große Buchläden mit aktuellen Bestsellern, unzähligen Rubriken und mehreren Etagen, in denen man sich verlieren kann. Und es gibt die kleinen, unscheinbaren. Solche, bei denen der Geruch von Papier und Holz beim Öffnen der Tür ein wohlig warmes Gefühl hinterlässt. Das Antiquariat H. J. von Goetz ist so eines. Als dritte Inhaber übernahmen Irene Metzger und René Fickler vor zwölf Jahren das Geschäft von Günter Lotz, der selbst noch bei Hans J. von Goetz das Buchhändlerhandwerk erlernt hatte. Gegründet wurde das Antiquariat 1928. Die beiden jetzigen Inhaber, beide Buchhändler, zogen 2010 in die Räumlichkeiten der Rheinstraße 101, in denen es zuvor auch schon ein Antiquariat gab. Sogar Obst konnte man zu dieser Zeit in den damals geteilten Räumlichkeiten kaufen, erzählt Irene Metzger, deren Kunden ihr Antiquariat als einen der letzten „echten Buchläden“ sehen. Der Laden ist ein Erlebnis: Kommt man hinein, schweift der Blick im Raum umher über die deckenhohen Regale, in denen alte Schriften schlummern.

Auf Schatzsuche

Ihre Kunden seien häufig etwas älter, erklären Metzger und Fickler. „Es kommen sogar Menschen, die schon früher zu ihrer Schulzeit die Buchhandlung besuchten, und suchen nach Büchern aus dieser Zeit“, berichtet die Buchhändlerin. Sie erzählten auch davon, wie der Gründer Hans J. von Goetz nach dem zweiten Weltkrieg mit seinem Handkarren durch die Stadt zog und Bücher verkaufte. Bücher, die während des NS Regimes verboten waren. Aber auch junge Menschen besuchen heute das Antiquariat, oft suchen sie nach Kafka oder Heine für die Schule, erklärt René Fickler lächelnd. Unabhängig vom Alter suchen viele Menschen nach älteren, besonderen Ausgaben. „Beim Antiquariat gibt es einerseits diejenigen, die ihr Thema haben, zu dem sie sammeln, und andererseits diejenigen, die auf Schatzsuche gehen“, weiß Fickler. Die Themen, nach denen die Kunden suchen, sind ebenfalls vielfältig. Literatur über Wiesbaden, Kunst, Philosophie, Geschichte und Psychologie läuft am besten. Einige kämen mit einer langen Liste, für andere werde nicht selten eine der fünf Leitern geholt, damit die Regale auf der Suche nach überraschenden Fundstücken durchforstet werden können. „Ich finde nach elf Jahren immer noch Bücher, die ich bisher kaum in der Hand hatte“, stellt sogar René Fickler fest. Überraschungen gefallen auch Irene Metzger am meisten an ihrem Geschäft: „Wir bestellen jeden Tag für unsere Kunden neue Bücher, von denen wir niemals dachten, dass wir sie mal in den Händen halten würden.“ Der Bestand des Antiquariats setzt sich insbesondere aus Nachlässen und Ersteigerungen zusammen.

Von Wiesbaden nach Oxford

Das online Geschäft ist im antiquarischen Bereich schon seit einiger Zeit besonders wichtig. Auf verschiedenen Portalen können Antiquare ihre Waren anbieten. Die Kunden wissen dabei nicht, woher das bestellte Buch geliefert wird. Außergewöhnliche Bestellungen sind dabei vorprogrammiert: „Einmal hat die Bibliothek der Oxford Universität bei uns bestellt, das war eine große Überraschung“, erzählt Irene Metzger begeistert und ergänzt: „Auch von bekannteren Schriftstellern aus Berlin erhielten wir bereits Bestellungen.“ Dass es eine Bestellung der Oxford Universität gab, ist aber kein Einzelfall. Viele Universitätsbibliotheken aus Deutschland füllen ihre Bestände mit Büchern aus Geschäften wie dem Antiquariat von Goetz auf. Die Unischließungen während der Pandemie spürte man am Rückgang der Bestellungen, berichtet die Inhaberin, und auch das Weihnachtsgeschäft lief im vergangenen Jahr nicht so gut. „Grundsätzlich sind wir aber glimpflich davongekommen“, sind sich die Antiquare einig. „Man sagt, der Buchhandel sei antizyklisch“, erklärt René Fickler. Wenn die Menschen wenig Geld für große Anschaffungen haben, kauften sie häufig ein Buch. „Mir hat jemand während des Lockdowns gesagt: Ich kann mein Geld nicht im Café ausgeben, dann hole ich mir jetzt einen Krimi.“

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