Lade

Tippen zum Suchen

Kultur

ChatGPT würde als Schriftsteller jämmerlich verhungern

Teilen

Unser humanoider Autor wollte aus Faulheit ChatGPT nutzen, um eine Seite zu füllen. Er muss feststellen, dass die Kreativität der KI ausbaufähig ist.

von Ingo Bartsch

Ein neues Zeitalter ist angebrochen. Künstliche Intelligenz auf dem Level von ChatGPT kann die Welt revolutionieren oder auch in den Abgrund stürzen – drunter geht es nicht, und vermutlich entspricht beides der Wahrheit. Ein so mächtiges Tool, dachte ich, kann doch etwas so Simples, wie mir die Arbeit abnehmen, quasi im Ruhemodus.

„Please deliver me an fictional shortstory in german language about a carpenter who accidently becomes major of mainz“, forderte ich ChatGPT testweise auf, nachdem mein Account aktiviert war und der Anbieter mein falsches Geburtsdatum „verifiziert“ hatte. Und ich staunte, denn ich erfuhr am eigenen Leib, wie die KI tatsächlich eine short story ausspuckte. Hier die ersten beiden Absätze:

Es war ein sonniger Tag im Frühling, als der Schreinermeister Hans Müller durch die Straßen von Mainz schlenderte. Er hatte gerade seine Arbeit beendet und genoss den Spaziergang durch die malerische Stadt. Als er plötzlich von einem Auto angefahren wurde und auf die Straße stürzte.
Als er wieder zu Bewusstsein kam, befand er sich im Krankenhaus und erfuhr, dass er sich bei dem Unfall am Kopf verletzt hatte. Doch das war nicht das Einzige, was sich verändert hatte. Denn als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, erfuhr er, dass er versehentlich zum Bürgermeister von Mainz ernannt worden war.

Dabei sah mir meine zehnjährige Tochter zu. Sie wollte nun das gleiche, bloß sollte ein Faultier versehentlich Herrscher des Dschungels werden. Also: „Please deliver me an fictional shortstory in german language about a sloth who accidently becomes king of the jungle.“ Heraus kam:

Es war einmal ein Faultier namens Fritz, das im dichten Dschungel lebte. Fritz war ein gemütliches Tier und verbrachte die meiste Zeit des Tages in einem Baum hängend und schlafend. Eines Tages, als er gerade ein Nickerchen machte, fiel er aus seinem Baum und landete auf dem Boden.
Als er aufwachte, sah er, dass eine Gruppe von Tieren um ihn herumstand und ihn anstarrte. Es waren der Löwe, der Elefant, der Affe, die Giraffe und viele andere Tiere, die im Dschungel lebten.

Die erste Kurzgeschichte hatte mich beeindruckt. Ein Hauch von Weltliteratur. Den Autounfall als Einschnitt, der die Geschicke der Geschichte in eine bestimmte Richtung lenkt, werden Nabokov-Leser*innen nur zu gut kennen. Das Aufwachen und sich in einer gänzlich neuen, grotesken Situation vorfinden – absolut Kafka. Aber geht es nicht ohne Unfall und Koma? Ich fragte ChatGPT noch einmal: „Please deliver me an fictional shortstory in german language about an author who accidently gets the nobel prize in literature.“

Es war ein sonniger Tag im Herbst, als der Autor Paul Berger in seinem kleinen Apartment in Paris saß und über sein nächstes Buch nachdachte. Er hatte schon viele Bücher veröffentlicht, aber keines davon hatte wirklich Erfolg gehabt. Dennoch ließ er sich nicht entmutigen und arbeitete hart an seinem neuesten Projekt. (Bis hierher dauerte es fast fünf Minuten. ChatGPT ist für eine Software nicht gerade schnell …)
Eines Tages erhielt er einen Brief aus Stockholm, der ihm mitteilte, dass er den Nobelpreis für Literatur gewonnen hatte. Paul konnte es kaum glauben und dachte zunächst, dass es ein Scherz war. Aber als er sich erkundigte, stellte er fest, dass es wirklich wahr war.

Nicht einmal ein Unfall. Statt dem sonnigen Tag im Frühjahr nun einer im Herbst. (Was ist unkreativer, als sich über Wetter und Jahreszeit auszulassen?) Statt Hans und Fritz jetzt Paul. Und das schlimmste: eine Geschichte ohne Ereignisse. Ernüchternd. Aber irgendwie auch beruhigend, zumindest für diejenigen, die kreativ schreiben. ChatGPT stößt hier schnell an seine Grenzen. Mit einer Geschichte, in der die größte Überraschung darin besteht, dass jemand einen Brief erhält, gewinnt weder eine künstliche noch eine menschliche Intelligenz auch nur einen Trostpreis. Das einzig Gute: Nach der Lästerei über die KI ist die Seite gefüllt.

 

Tags
Vorheriger Artikel
Nächster Artikel