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Mainz

Kolonialistische Kontinuitäten in Mainz

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Wusstet ihr, dass Konrad Adenauer – erster Bundeskanzler der BRD sowie Namensgeber des Adenauer-Ufers in Mainz – ein Verfechter des Kolonialgedankens und Vizepräsident der Deutschen Kolonialgesellschaft war? Nein? Dann auf zum Stadtrundgang „Mainz – Postkolonial“.

von Nils Lacker

„Das Thema Kolonialismus ist keine abgeschlossene Epoche in der deutschen Geschichte. Es geht um wirtschaftliche, kulturelle und soziale Verstrickungen, die bis heute nachwirken und wirken“, erklärt Marlène Harles, kuratorische Assistentin der Kunsthalle Mainz und Co-Kuratorin der aktuellen Ausstellung zum Thema Kolonialismus „Unextractable: Sammy Baloji invites“. Wie viele deutsche Städte hat auch Mainz eine kolonialistische Vergangenheit, die nicht auf den ersten Blick sichtbar ist. In Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie dem Institut für Ethnologie und Afrikastudien der Johannes Gutenberg-Universität (JGU) fühlt die Kunsthalle Mainz den kolonialen Kontinuitäten der Stadt auf den Zahn. So haben die drei Institutionen mithilfe eines „kräftig recherchierenden Praktikanten“ an unterschiedlichen Orten, hauptsächlich in der Neustadt und am Zollhafen, Reminiszenzen an kolonialistisch gesinnte Agitatoren aufgespürt. Die Ergebnisse werden bis zum 18. Februar während eines kostenlosen, eineinhalbstündigen „postkolonialen Stadtrundganges“ vorgestellt. Dabei stehen sieben öffentliche Plätze in der Mainzer Neustadt im Fokus.

„Bei dem Rundgang geht es darum, Spuren aufzuzeigen, für die Gegenwart aufzubereiten und damit sowohl über die Vergangenheit als auch über die Gegenwart zu sprechen. Was sind die großen Zusammenhänge, wenn es um den Zollhafen geht?“, so Dr. Jonas Engelmann, Regionalbüroleiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung Rheinland-Pfalz. Der Gedanke an einen postkolonialen Rundgang in Mainz ist nicht erst gestern aus dem Ei geschlüpft. Dr. Anna-Maria Brandstetter vom Institut für Ethnologie und Afrikastudien hatte bereits vor zehn Jahren die Idee und schon „viel Material, Gedanken und Notizen gesammelt“, wie Harles erklärt. Dr. Brandstetter war ebenfalls in die Entstehung des Rundganges involviert.

Anlass für die Realisierung der Stadtrundgänge bot die Ausstellung „Unextractable: Sammy Baloji invites“, die noch bis zum 11. Februar in der Kunsthalle Mainz besucht werden kann. Sammy Baloji ist ein Künstler aus Lubumbashi in der Demokratischen Republik Kongo, der sich in seiner Arbeit vor allem der kolonialen Vergangenheit Belgiens und dem damit einhergehenden Extraktivismus, also der Ausbeutung von natürlichen Ressourcen, in seinem Land beschäftigt. Während seiner Schulzeit wurde ihm kein Wissen über diese Verhältnisse vermittelt, geschweige denn etwas über das Thema Kolonialismus an sich. Daher stellte Baloji in Brüssel selbstständig Nachforschungen in Archiven und Museen an. Harles überlegte in ihrer Rolle als Co-Kuratorin der Baloji-Ausstellung mit wem sich eine Zusammenarbeit anbieten würde. Bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung sei sie sofort „auf fruchtbaren Boden gestoßen“, wie sie berichtet.

Das Recherche-Syndikat war fleißig und fand zahlreiche Ergebnisse im kompletten städtischen Kontext, nicht nur auf die Neustadt und den Zollhafen begrenzt. Besonders spannend sind die Erkenntnisse zu Georg Forster und Samuel Thomas von Sömmering – die jeweiligen Namensgeber der Forsterstraße und des Sömmeringplatzes. Beide agierten zur selben Zeit an der Mainzer Universität, hatten jedoch ein gänzlich unterschiedliches Menschenbild. Wenngleich auch Forster nicht frei von jeder Kritik sein kann, hatte er einen weitaus humanistischeren Ansatz. Sömmering hingegen versuchte intellektuelle und anatomische Unterschiede zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarben biologisch nachzuweisen. Das Argument „er war ein Kind seiner Zeit“ ist laut Harles somit ein schwaches und unfundiertes.

Auf die Frage, ob der Rundgang auch einen Appell an die Stadt ausdrücke, antworten Engelmann und Harles gelassen: „Der Appell soll nicht sein: Hey, nennt sofort alle Straßen um. Es geht darum, Teilnehmer:innen für die Orte zu sensibilisieren, Dinge ins Bewusstsein der Stadtund vor allem der Neustadtbewohner:innen zu rücken, die diese öffentlichen Plätze täglich frequentieren.“ Sowohl Marlène Harles als auch Jonas Engelmann hoffen, dass die Aktion auch nach der Ausstellung in irgendeiner Form weitergeführt werden kann.

Foto: Sybil Coovi Handemagnon


WTF

Stadtundgang „Mainz – Postkolonial“
Noch bis Februar 2024. Anmeldungen zum Rundgang bitte mit drei Tagen Vorlaufzeit an:
mail@kunsthalle-mainz.de. Die Kunsthalle sucht engagierte Bürger:innen, beispielsweise Student:innen, die die Führung eines Rundganges übernehmen. Bei Interesse bitte ein kurzes Bewerbungsschreiben an die obige Emailadresse senden.

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