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Mit Stift und Papier zu Abenteuern

Pen & Paper Rollenspiele, wie Dungeons & Dragons (D&D), sind nicht nur ein analoges Spielephänomen in Zeiten digitaler Unterhaltungsangebote. Durch die kreativen Gestaltungsmöglichkeiten fördern sie auch Sprach- und Social Skills. Gemeinsam mit fünf Verbündeten erlebt STUZ-Autor Tim Porzer sein erstes D&D-Abenteuer.

von Tim Porzer

Tagelang sind wir durch die Wälder gewandert. Für mich als Ranger sind sie mein Zuhause, doch selbst ich weiß nicht, wieviel Zeit vergangen ist, seit wir an einem Samstagvormittag vom Orcish Outpost in der Mainzer Zanggasse aufgebrochen sind. Nun stehen wir auf den Mauern der Festung Ironspine Keep, die wir während des Wiederaufbaus verteidigen sollen. Mein Name ist Hank und ebenso wie meine fünf Verbündeten hat mich die Aussicht auf 100 Goldstücke und ein Abenteuer hierhingebracht. Im Nebel rückt eine Armee aus Untoten näher. Neben Skelettkriegern ist ein Frostriese auszumachen. Der Kampf ist unausweichlich.

Aller Anfang ist schwer
„Hold Back the Dead“ ist das Ziel der Festungsverteidigung und der Titel des damit verbundenen Kurzabenteuers (Oneshot) der 2024er Edition des beliebten Pen & Paper Rollenspiels Dungeons & Dragons. Für mich ist es zugleich die erste Erfahrung als Spieler. Der Oneshot aus dem Genre Dark Fantasy ist glücklicherweise einsteigerfreundlich konzipiert. „Wir spielen mit vorgefertigten Charakteren, da das Abenteuer, das normalerweise acht bis neun Stunden geht, auf fünf Stunden eingedampft werden muss“, erklärt Spielleiter Fabian Gerhards zu Beginn. Als Spielleiter ist er der Erzähler der Geschichte, der die Handlungen der Spielenden in den Kontext einbetten muss und über die Spielregeln und deren Auslegung entscheidet. Zudem schlüpft er in die Rollen der Antagonisten und Nebencharaktere. Eine ebenso kreative wie verantwortungsvolle Aufgabe für den 35-jährigen, der seit 2015 D&D-Runden leitet. Für ihn steht die Freude am Spiel im Vordergrund: „Es ist ein Spiel, das Spaß machen soll und damit es Spaß macht, muss man wissen, was man tut.“ Das beruhigt mich, denn die Würfelprobe hat ergeben, dass ich als Erster am Zug bin. Nun liegen mein Charakterbogen, der meine Fähigkeiten dokumentiert, und auf dem ich im Laufe des Spiels Veränderungen notiere, sowie sieben verschiedenkantige Würfel vor mir. Und plötzlich soll ich aus zwölf Hauptaktionen, zusätzlichen Bonusaktionen und möglichen Bewegungen entscheiden, was zu tun ist. Bereits nach einer halben von fünf Stunden bin ich etwas überfordert. Aber weil D&D ein Gemeinschaftsspiel ist, meine fünf Verbündeten mir mit Tipps zur Seite stehen und Angriff die beste Verteidigung ist, entscheide ich mich zu einem Fernschuss mit meinem Langbogen. Ab jetzt entscheiden die Würfel. Zunächst würfle ich aus, ob mein Angriff erfolgreich ist. Er ist es. Ich treffe einen Skelettkrieger und darf erneut würfeln, um den Schaden zu ermitteln, den ich meinem Gegner zufüge. So schnell die Überforderung aufgekeimt ist, spüre ich nun Erleichterung, dass jemand anderes am Zug ist, und Stolz, die erste Herausforderung bewältigt zu haben. Gespielt wird in der Regel zu fünft: vier Spieler, ein Spielleiter. Der Fortgang der Handlung vollzieht sich rundenweise. Eine Runde endet und eine neue beginnt, wenn alle Spielenden und alle vom Spielleiter gesteuerten Figuren ihre Aktionen beendet haben. Meinen Verbündeten ist ihre Erfahrung anzumerken. Max erläutert mir die Vorteile meines Charakters Hank. Dank Tim, alias Domingo, mit seinem Falken Merlin, Franzi, einer Palatinin, Andreas, einem Ork-Krieger, und Nils, einem Kleriker, teilen wir weiteren Schaden aus. Mit jedem Würfelwurf, der über Erfolg oder Misserfolg entscheidet, steigt bei mir der Nervenkitzel und ich werde in die Spielwelt miteinbezogen.

Rollenspieltreff als Einstieg
„D&D ist als amerikanisches Produkt nicht nur englischsprachig, sondern auch sehr kampflastig“, resümiert Oliver Gruschka. Der 45-jährige organisiert seit Juni 2019 den Mainzer Rollenspieltreff (RST) im Orcish Outpost, bei dem sich Interessierte und Rollenspielbegeisterte einmal im Monat zum gemeinsamen Spielen treffen können. Der RST bietet Interessierten und Neueinsteigern die Chance, Kontakte zu knüpfen und Erfahrungen zu sammeln. Auch abseits des Spieletreffs ist der Orcish Outpost Anlaufstelle für Rollenspielbegeisterte. Es ist Fachgeschäft für alles rund um Pen & Paper und Tabletop-Rollenspiele wie Abenteuer, Spielweltbeschreibungen, Regelhandbücher und Spielwürfel. Zudem gibt es fundierte Beratungen und das Ladengeschäft stellt Gruppen Tische zum Spielen zur Verfügung. Über den Rollenspieltreff hat auch Tim, der 2017 erstmals Pen & Paper gespielt hat, nach einer mehrjährigen Pause den Weg zurück zum Spiel gefunden. Gleiches gilt für Andreas Bentz. Der 54-jährige ist der D&D-Veteran unter meinen Verbündeten. Nachdem er bereits in der 9. Klasse begonnen und verschiedene Editionen bis Anfang der 2000er gespielt und geleitet hat, ist er seit August 2024 beim RST dabei.

Alles scheint möglich
In Pen & Paper Rollenspielen steht die Erzählung im Mittelpunkt, die von der kollektiven Kreativität der Gruppe ergänzt wird. „Ein Vorteil an Tischrollenspielen ist, dass das Regelwerk Vorschläge sind, die man aber in der Gemeinschaft anpassen kann“, betont Fabian Gerhards. Auch meine Verbündeten schätzen die kreativen Freiheiten: „Es gibt hier eigentlich keine Idee, die zu doof ist, als dass sie nicht probiert werden kann“, witzelt Andreas Bentz. Tim reizt zudem der „Improtheater-Aspekt, den das Rollenspiel mit sich bringt“. Und auch ich merke als Einsteiger nach einigen Spielrunden, wie ich durch die Liebe zum Detail und die sich entfaltende Handlung immer besser reinkomme. Mittlerweile kämpfen nicht nur die Untoten gegen uns, sondern auch die tickende Uhr. Werden wir die Festung halten, bevor das Abenteuer endet?

Dass die Zeit so schnell vergeht, liegt an der Geschichte und an der Gruppendynamik. Franziska Schlicke schätzt daher die Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen: „Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass ich noch Leute aus Rüsselsheim finde, die das Interesse teilen.“ Denn bei allen spielerischen Freiheiten: „Ohne Gruppe wird es schwer“, weiß Max. Das Spiel ist aber mehr als Zeitvertreib, es fördert auch die eigenen Kompetenzen. „Sehr viele Softskills, die in der modernen Arbeitswelt gefragt sind, sind in den Tabletop-Spielen enthalten“, erläutert Fabian Gerhards, der beruflich als HR-Administrator im Personalwesen tätig ist. So kommen beim Pen & Paper nicht nur verschiedene Altersgruppen zusammen, sondern auch Menschen mit unterschiedlichen Persönlichkeitstypen und transportieren das in ihre Rollen. Durch den kreativen Aspekt werden zugleich Sprachgewandtheit und Englischkenntnisse spielerisch vertieft, führt Oliver Gruschka aus.

Nach fünf Stunden endet die Spielrunde – mit einem sprichwörtlichen Sieg in letzter Sekunde. Beim Anblick des leeren Spielbretts beschleicht mich die Erkenntnis: Pen & Paper ist ein Spielphänomen, das verschiedene Menschen aller Altersgruppen, jedes Geschlechts und unterschiedlicher Persönlichkeitstypen an einen Tisch bringt – und das in einer Zeit, die mehr und mehr digitale Spieleangebote hervorbringt. Bei wem das Interesse geweckt ist – ob Neueinsteiger oder Rollenspielbegeisterte – der nächste RST im Orcish Outpost findet am 27. September statt. Das Spielvergnügen ist auch kostengünstig. Man braucht Papier, einen Stift und im weiteren Verlauf Spielwürfel. Denn „das Hauptmittel, dessen man sich bedient, ist die Vorstellungskraft.“

WTF
Nächster Rollenspieltreff im Orcish Outpost: 27. September
Um Anmeldung vorab wird gebeten unter: Anmeldung-RST@magic-seven.de

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