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Kultur Wiesbaden

Biennale Wiesbaden wird Platz machen!

Vom 12. bis 21. September bespielt das im zweijährigen Rhythmus organisierte Festival das Hessische Staatstheater und den Stadtraum. Mit dabei sind Künstler:innen aus aller Welt.

von Michael Süss

Die ganze Innenstadt wird zur Bühne: Parks, Therme, Straßen. Die Wiesbaden Biennale 2025 stellt ortsspezifische Arbeiten internationaler Künstler:innen in den Mittelpunkt – ergänzt durch Gastspiele, Gespräche, eine Lecture Performance sowie eine Lesung, Filme und Studierendenprogramme. Dabei gehen die beiden Damen der künstlerischen Leitung, Rebecca Ajnwojner und Carolin Hochleichter, den Weg der Intendantinnen Dorothea Hartmann und Beate Heine konsequent weiter. Die Stadt als Ganzes, samt Gebäuden, Bewohner:innen, Straßen, Wetterlage werden eingebunden. So entsteht zusätzlich zu festen Texten und Inszenierungen immer auch spontane Interaktion. Bei der Biennale wird das alles nochmals gesteigert, verfremdet, da auch die Inszenierungen aus anderen, uns fremden Ländern zu uns kommen. Möglicherweise wie einst die ersten Restaurants, die uns die Fremde lecker servierten, kommen nun auch deren Regisseure und Schauspielerinnen. Sie garnieren die Wiesbadener Straßen mit ihrem Blick und Humor, den wir vielleicht nicht verstehen, und ernsten Anliegen, die wir vielleicht bisher noch nicht wahrgenommen haben. Damit sprengen sich Grenzen oder werden ausgedehnt und infrage gestellt. Gerade auch mit den grausamen und idiotischen Aspekten, die die Diskussionen um Themen wie Leitkultur und Integration mit sich bringen. Vermutlich werden Rechte schäumen und sich persönlich diskreditiert fühlen, wenn sie in „Die Angehörigen“ Porträts von Opfern rechter Gewalt und von deren Angehörigen gezeigt bekommen. Womöglich empfinden es Puristen städtischer Ordnung unmöglich, wenn in „Colored Resurrect“ die heiligen weißen Säulen der Theater-Kolonnaden bunt werden. Die Installation von Sasapin Siriwanij aus Thailand bringt eine komplett andere Sicht der Dinge, denn in Thailand werden Säulen und Bäume auf diese Weise heiliggesprochen. In einem mehrteiligen Ritual-Zyklus sind wir alle eingeladen, die Farben von den Kolonnaden aus in die ganze Stadt zu tragen: Welche Orte sind in Wies­baden heilig? Und warum? Wie weit ziehen die Farben ihre Kreise?

Weite Kreise
Überhaupt zeigt sich die Biennale erfrischend global ausgerichtet. In „Dambudzo“ setzt sich Nora Chipau­mire mit der Geschichte Simbab­wes ausein­ander. In einem Shabeen, einer informellen, in Privathäusern eingerichteten Bar, kommen Menschen zusammen, um gemeinsam Möglich­keiten des Widerstands und des Aufstehens gegen politische Machthaber auszuloten. Mit kraft­vollen Bildern, Sounds und Bewegungen nimmt uns Nora mit auf eine Reise durch Simbabwes Revo­lu­tion von 1964 bis 1979, in das wilde Leben des Autors Dam­budzo Mare­chera und durch ihre ganz persönliche Geschichte voller Aufbruch, Umbruch und Freude. Das Stück ist allein deswegen wichtig, da alles was den Kontinent Afrika betrifft, nur selten unsere Wahrnehmung streift. Viel eher werden wir in Deutschland mit Menschen anderer Herkunft konfrontiert. Was zum Beispiel haben philippinische Pflegekräfte mit Wiesbaden zu tun? Sehr viel! „Nursing the Empire“ zeigt ihre Wege nach Deutschland – mit starken Geschichten und Bildern. Erzählt wird von harter Arbeit, großen Träumen und der Frage: Wer pflegt eigentlich wen und warum? Das Projekt folgt den Spuren der Geschichte und Erfahrungen philippinischer migrierter Pflegekräfte in Deutschland. Zudem werden Bedingungen aufgezeigt, die Migration von Gesundheitsfach­kräften nach Deutschland antreiben und aufrechterhalten.

Besser nicht träumen?
In „Birdsong from Elsewhere: The Flight of Quassi and Folivi“, einem Hörspielspaziergang, reisen Quassi und Folivi – zwei Jungen, die tatsächlich während der Kolonialzeit aus Togo entführt wurden – zusammen mit uns durch Wiesbaden und erleben es auf eine neue Weise. Vergangenheit und Gegenwart vermischen sich und die kolonialen Spuren in den Straßen der Stadt werden sichtbar. Der Audiowalk ist inspiriert vom Sankofa-Gedanken aus der ghanaischen Akan Sprache, der bedeutet: „Geh zurück und hol, was verloren ging.“ Er zeigt: Erinnerung kann überraschend zurückkommen.

So und nicht anderes sollten wir die Zukunft konstruktiv erhoffen und gestalten. Und nicht naiv erträumen und warten. Die Biennale lässt uns an der Wahrnehmung Anderer teilhaben und mit etwas Glück eröffnen sich uns neue Optionen der Selbstwahrnehmung und später dann, in einiger Zeit, erinnern wir uns wieder und müssen nicht beschämt unsere Ahnen ahnden.

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