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Gesellschaft

„Früher hat man gesagt: die Huren“

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SOLWODI heißt Solidarity with Women in Distress. Ein Verein, gegründet aus Wut über den Ist-Zustand und fest entschlossen ihn zu verändern, ruft zum Weltkongress in Mainz auf: Für einen Weg aus dem Elend der Prostitution.

von Lea Krumme

Unzählige Frauen und Mädchen weltweit müssen ihre Körper an etwa zwanzig Männer pro Tag verkaufen. Im Urlaubsparadies Kenia wird ihre Not zwischen Souvenirshops und Cafés von Touristen schamlos ausgenutzt. 33 Jahre sind vergangen, seit Schwester (kurz: Sr.) Lea Ackermanns einschneidendem Reiseerlebnis. Das Bewusstsein dadurch geschärft, ließ sie auch zurück in Deutschland die Allgegenwart der Prostitution nicht kalt. Aus Wut rief sie den Verein SOLWODI ins Leben. Ein expandierendes Netz von Bildungszentren, Schutzhäusern, Beratungsstellen in Afrika und (Ost-)Europa – darunter auch Mainz – später, ist die Erinnerung noch so lebendig wie damals. Ebenso wie die Empörung über die Untätigkeit gegenüber der Ungerechtigkeit. Das ernüchternde Urteil: „Unsere Gesellschaft ist prostitutionsfreundlich.“ Die Entschlossenheit der Missionsschwester, diesen Zustand zu verändern, wird allzu häufig belächelnd abgetan. Das Argument: Prostitution habe es schon immer gegeben. „Und wissen Sie, was ich dann antworte? Diebstahl hat es auch immer gegeben! Aber eine Gesellschaft gibt sich Regeln und sagt: So wollen wir leben. Was zählt, ist ein Miteinander, bei dem keiner unter die Räder kommt.“


Deutschland, das Bordell Europas
Als wäre die selbstverständliche Hinnahme nicht genug, wurde die Prostitution 2002 gesetzlich ganz offiziell zu einem Berufszweig wie jeder andere verklärt. Deutschland ist „tolerant“, liberal und legitimiert das Geschäft mit der Not von Frauen durch bürokratische Regelung. Der Staat leistet sogar Einstiegshilfe – Präventionsarbeit und Ausstiegsbegleitung werden dagegen nicht gefördert. Erschreckend und doch wenig überraschend also, dass Deutschland international als „Bordell Europas“ gilt. Aber Sr. Lea Ackermann weigert sich, dieses letzte Wort kampflos zu akzeptieren: „Es ist mein innerstes Anliegen, einen Aufruhr zu schaffen. Ich helfe seit 33 Jahren Frauen und ich kann Ihnen sagen: Keine Einzige macht das freiwillig.“ Immer treibt sie eine Elendsspirale als letzte Option in die Prostitution. „Man spricht von bis zu vierhunderttausend Betroffenen in Deutschland. Das sind aber nur Schätzwerte.“ Dabei sei es eigentlich gar nicht so schwer, konkrete Zahlen zu erheben. Es mangle bloß an öffentlichem Interesse. „Deshalb zählen wir: Allein im letzten Jahr konnten wir 2.661 Frauen aus 103 Ländern helfen. Aus Menschenhandel, häuslicher Gewalt und Notsituationen.“ Und in all den Jahren sei nicht eine wieder in den Teufelskreis zurückgefallen, aus dem sie sich mit der Hilfe von SOLWODI freigekämpft hat.

Es geht immer um Bildung
Anfangs in Kenia sprach Sr. Lea Ackermann die Frauen ganz direkt an. Redete mit ihnen über ihre Perspektiven. Erstaunlich, dass dabei keine Scham oder Hemmschwelle zu spüren gewesen sei. Mittlerweile suchen viele gezielt bei dem Verein Hilfe. „Es geht immer um Bildung und Ausbildung. Man muss den Alltag gestalten und einen Ausgleich schaffen.“ Zum Beispiel beim jährlichen Fußballcoach-Camp mit dem DFB. SOLWODI hilft Frauen, ihren Wert selbst ganz neu zu erkennen und sich auch in der Gesellschaft ein ganz neues, respektvolles Ansehen zu verschaffen. „Früher hat man auf uns herabgesehen und gesagt: die Huren. Heute sagt man: die super Sportlerinnen“, zitiert Sr. Lea Ackermann stolz die Erfolgserlebnisse ihrer Schützlinge. Bis heute reist die 82-Jährige jedes Jahr nach Kenia. Zu ihren Partnern gehört unter anderem der Mainzer Mediziner Prof. Dr. Gerhard Trabert, Professor für Sozialmedizin an der Hochschule RheinMain, Gründer des Vereins Armut und Gesundheit in Deutschland und eines Arztmobils für Wohnungslose und Bedürftige. Denn natürlich sind Frauen nicht die einzigen Menschen in Not. „Aber wir können nicht die ganze Welt auf einmal retten“, gibt Sr. Lea Ackermann zu. „Wichtig ist, irgendwo anzufangen. Ich habe gesehen, dass es Frauen schlecht geht, also habe ich angefangen, Frauen zu helfen.“

Einen Aufruhr schaffen in Mainz
Gemeinsam mit der Armut und Gesundheit e.V. Mainz und dem CAP International (Coalition Against Prostitution), richtet SOLWODI den nun dritten Weltkongress gegen sexuelle Ausbeutung von Frauen und Mädchen aus. Der Standort wurde von den Veranstaltern sorgsam und bewusst ausgewählt. Zur Vermittlung der Relevanz des Themas am besten geeignet, setzte sich schließlich Mainz gegen Städte wie Berlin und Bonn durch: „Berlin ist so überlaufen, da geht der Kongress in seiner Bedeutung unter. Außerdem ist Mainz durch die Anbindung an den Flughafen für unsere Gäste aus dreißig Ländern bestens zu erreichen und die Uni ist sehr kooperativ.“ Der Kongress soll als Plattform zur internationalen Vernetzung dienen, um Aufklärung zu betreiben, Lösungsansätze zu diskutieren und nicht zuletzt: einen Aufruhr zu schaffen.

Der Weltkongress findet vom 2. bis 5. April im Philosophicum der Uni Mainz statt.
Informationen, Anmeldeformulare und den aktuellen Stand des Programms gibt es auf solwodiweltkongress.blogspot.com und unter weltkongress2019@solwodi.de
SOLWODI-Fachberatungsstelle Mainz:
06131 678069 / 0171 9456114 /
0152 07599268
mainz@solwodi.de / beratung-rlp@solwodi.de

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