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Tiere

Im Auge des Jägers

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Was kreucht und fleucht im STUZ-Gebiet? Wilde Tiere vor der Haustür, Teil 15: Der Hecht

von Konstantin Mahlow

Heimlich und lautlos zieht die alte Hechtdame ihre Bahnen unter den anlegenden Booten im Mainzer Winterhafen. Dann bemerkt sie etwas. In einem Krautfeld in Ufernähe legt sie sich auf die Lauer und verharrt beinahe regungslos. Ihr starrer Blick ist auf eine Entenfamilie gerichtet, die nur wenige Meter vor ihr von einem Spaziergänger gefüttert wird. Zwei Schwäne sind auch da, ein paar Blässhühner und Möwen, alle kämpfen um das Brot. In dem Chaos sieht die Mutter der Entenfamilie nicht, dass sich eines ihrer Küken von der Gruppe entfernt hat. Der Spaziergänger wird später nur von einem Wasserschwall erzählen, der wie aus dem Nichts das wehrlose Küken in Sekundenschnelle verschlang. Von einer dramatischen Szene, auch wenn es kein Blut zu sehen gab. Für die Hechtdame aber ist die junge Ente nur eine Zwischenmahlzeit. Ein kleiner Snack, bevor sie weiter auf die Jagd nach Weißfischen und Barschen gehen wird.

Gefräßige Kannibalen

Der Hecht (Esox lucius) ist nach dem Wels der größte Raubfisch im Rhein und sowohl für seine Gefräßigkeit als auch seine Aggressivität berühmt-berüchtigt. Exemplare über einen Meter Länge und zehn Kilo Gewicht sind keine Seltenheit, Ausnahmefische kommen auf eineinhalb Meter. Er ist ein standorttreuer Räuber, der ruhigere Gewässerabschnitte der Strömung vorzieht. In verkrauteten Seitenarmen oder Anlegestellen mit viel Deckung fühlt er sich besonders wohl. Im STUZ-Gebiet sind etwa der Winter- und Industriehafen, der Schiersteiner Hafen und der Ginsheimer Altrhein klassische Hechtreviere. Bei der Auswahl seiner Beute ist er wenig zimperlich: Neben Wasservögeln, Fröschen und kleinen Säugetieren stehen vor allem Fische jeder Art auf den Speiseplan. Selbst vor den eigenen Artgenossen macht er nicht Halt. Hechte sind von dem Tag ihrer Geburt an schamlose Kannibalen und fangen damit an, andere Hechte zu jagen, sobald sie groß genug sind.

Jagen mit Weitblick

Auch im Mainzer Zollhafen wurden in letzter Zeit regelmäßig Jungtiere in den flachen Becken beobachtet. Tatsächlich verändert sich der Lebensraum Rhein zu Gunsten der gefräßigen Räuber. Der torpedoförmige Körper, die Tarnfarben des Schuppenbilds, das entenschnabelartige Maul voll scharfer Zähne – der Hecht ist perfekt an das Leben als Jäger angepasst. Es sind aber vor allem die großen Augen, die ihn so erfolgreich machen. Hechte jagen auf Sicht. Am liebsten lauern sie aus einem Versteck ihrer Beute auf, um sie dann mit einem blitzschnellen Sprint zu attackieren. Ähnlich wie ein Gepard versagen sie dafür auf weiten Strecken. Das immer klarer werdende Rheinwasser kommt ihnen da entgegen, das Jagen wird einfacher. Unter Anglern wird schon seit einiger Zeit spekuliert, dass der Hecht den Zander als dominanten Raubfisch im Oberrhein ablösen könnte. Ob das so eintrifft, kann man bei bloßer Betrachtung der Fangzahlen kaum sagen, mehr Hechte scheint es aber auf jeden Fall zu geben.

Apropos Angeln

Seit geraumer Zeit steigt die Zahl derjenigen, die am Rhein und seinen Nebengewässern gezielt auf „Mr. Esox“ (Anglerjargon) fischen. Früher ist man kostspielig nach Schweden oder mindestens an den Müritzsee gefahren, um einmal im Leben einen majestätischen Hecht jenseits der Metermarke an den Haken zu kriegen. Dass es mehr Hechte gibt, heißt aber nicht automatisch, dass es einfach ist, einen zu fangen. Sie sind schlaue Jäger, die selten zweimal auf denselben Köder hineinfallen. Doch ganz egal, wie man es anstellen möchte: Von Sportangeln nach dem catch and release-Prinzip muss abgeraten werden. Das Fangen und Freilassen von Fischen ist Tierquälerei und in Deutschland auch nur dann erlaubt, wenn der Fisch in der Schonzeit gefangen wurde. Beim Hecht reicht diese vom 1. Februar bis 31. Mai (Rheinland-Pfalz) respektive 15. April (Hessen).

Nur gucken, nicht essen

Bleibt die Frage, was man mit dem gefangenen Hecht anfängt. Als Speisefisch wird er trotz seiner zahlreichen Gräten sehr geschätzt. Doch ob man überhaupt bedenkenlos Fische aus dem Rhein essen kann, ist so etwas wie eine Glaubenssache geworden: Die einen schwören darauf, nicht selten mit dem Verweis, dass ja sowieso alle Tierprodukte irgendwo schädlich sind. Die anderen warnen mit Hinblick auf die Schadstoffe im Fleisch der Fische, die bei Raubfischen auch noch in höherer Konzentration auftreten. Wer auf Nummer sicher gehen will, lässt es lieber sein – und genießt stattdessen das beeindruckende Schauspiel, wenn ein Hecht in Ufernähe auf Jagd geht. Auch wenn es unschuldige Küken erwischen sollte.

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