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Ist Aufschieberitis heilbar?

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Ein nicht unerheblicher Teil von Studierenden prokrastiniert regelmäßig und läuft dadurch Gefahr in eine Abwärtsspirale aus Aufschieben, Versagensgefühlen und Depressionen zu geraten.

von Emma Coester

Wer kennt diese Situation nicht: Man sitzt an seinem Schreibtisch, versucht die eigene Aufgabenliste abzuarbeiten und schweift gedanklich immer wieder ab. Egal wie sehr man versucht dagegen anzusteuern, irgendwann macht sich der Körper einfach selbstständig. Sekunden später findet man sich in einer belanglosen Situation wieder, wie beispielsweise vor dem Kühlschrank oder noch schlimmer: auf dem Sofa mit dem Handy in der Hand. Dieses Verhalten nennt man prokrastinieren. Der aus dem Lateinischen stammende Begriff bedeutet übersetzt „Aufschieben“ oder „auf morgen vertagen“ und meint, dass man anstehende berufliche oder private Pflichten durch Ersatztätigkeiten hinauszögert. 75 Prozent der zur einer Mainzer Studie befragten Studierenden der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz (JGU) geben an, regelmäßig zu prokrastinieren, also Aufgaben vor sich herzuschieben und sich leicht ablenken zu lassen.

Prokrastination beginnt im Gehirn

Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 der Ruhr- Universität Bochum haben Menschen, die zum Prokrastinieren neigen, einen vergrößerten Mandelkern. Dieser bildet das Gefühlzentrum im Hirn, in dem Emotionen verarbeitet und kontrolliert werden. Der Mandelkern beeinflusst unter anderem, ob wir Dinge positiv als Belohnung oder negativ als Bestrafung empfinden. Gleichzeitig sind die Verbindungen zu den Gehirnregionen, die eine wesentliche Rolle bei der Steuerung des Verhaltens spielen, weniger stark ausgeprägt. Daraus lässt sich schließen, dass Menschen, die unter Prokrastination leiden, stärker von ihren Emotionen geleitet werden und weniger strikt sind, was ihr Durchhaltevermögen oder Konzentration angeht. Fängt man einmal an Aufgaben aufzuschieben, führt das unumgänglich zu Unzufriedenheit. Die Angst vor dem Scheitern wächst mit. Der Stresspegel steigt an und Betroffene entwickeln ein negatives Selbstbild. Nach einer Studie der Universitätsmedizin Mainz leben Menschen, die Dinge aufschieben, seltener in Partnerschaften, sind häufiger arbeitslos und verfügen über ein geringeres Einkommen. Vor allem junge Männer sind betroffen. „Schüler und Studierende prokrastinieren häufiger als ihre berufstätigen oder in Ausbildung befindlichen Altersgenossen. Die Studie bestätigt, dass ausgeprägtes Aufschiebeverhalten mit Stress, Depression, Angst, Einsamkeit und Erschöpfung einhergeht“, erklärt Manfred Beutel, der Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Mainz. Er hat die Studie zu Prokrastination mit 2.527 Menschen im Alter von 14 bis 95 durchgeführt.

Hinter dem Aufschiebeverhalten steht häufig die eigene Versagensangst, denn einige Studierende haben viel zu hohe Leistungsanforderungen an sich selbst und unrealistische Zielsetzungen. Daran könnte unter anderem die Selbstorganisation innerhalb des Studiums schuld sein. Klinikdirektor Beutel sieht die Gefahr der Thematik und ruft ein spezielles Behandlungsangebot in der Universitätsklinik für junge Erwachsene mit ausgeprägtem Prokastinationsverhalten ins Leben. „Der Teufelskreis aus Aufschieben, Vermeidung, Versagensgefühlen, Erschöpfung und Depression wird in der stationären Behandlung sorgfältig aufgearbeitet.“ fügt er hinzu. Die meisten Betroffenen benötigen jedoch keine stationäre Behandlung, mit ein paar psychologischen Verhaltensänderungen, kann schon einigen geholfen werden.

Routinen und positive Gewohnheiten

Um gar nicht erst in die Prokrastinations-Falle zu tappen, sollte man anfangen, sich realistische Ziele zu setzen und Aufgaben nach ihrer Priorität Tag für Tag abzuarbeiten. Auch übermäßiger Ehrgeiz hilft nicht unbedingt. Wenn Aufgabenlisten zu lang sind, weil man sich zu viel vorgenommen hat, kann das demotivierend sein. Um einen leichteren Einstieg in die Arbeit zu finden, hilft es, eine Routine für den Tag zu erstellen und sich neben den Aufgaben auch Zeit für Kaffee- Pausen oder Gespräche mit Freund:innen einzuräumen. Diese positiven Gefühle helfen, Stress zu bewältigen und die unangenehmen Tätigkeiten zu erledigen. Mit jeder erledigten Aufgabe nimmt die Erleichterung zu. Manchen Menschen hilft es, To-Do Listen zu schreiben und diese auf dem Papier abzuhaken, damit entlastet man sein Gedächtnis. Wichtig ist es, die Tageszeit herauszufinden, zu der man am produktivsten und konzentriertesten ist. Auch feste und positive Gewohnheiten, wie ein regelmäßiger Schlafrhythmus, sind nicht zu unterschätzen. Grade vor einem größeren Projekt wie einer Hausarbeit, sollte der Tag routiniert ablaufen. Am besten steht man immer zur selben Zeit auf und isst zu den gleichen Tageszeiten. Diese Anhaltspunkte können auch einen eher unregelmäßigen Studiumsalltag strukturieren und helfen, produktiv zu sein. Und noch ein bereits bekannter, aber doch oft vernachlässigter Punkt: In einer festgelegten Arbeitsphase sollte das Handy nicht in erreichbarer Nähe sein und auch alle anderen Social-Media-Kanäle nicht benutzt werden.

Infos unter: Unimedizin – Psychosomatik

Foto: Zhang Kenny

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