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Gesellschaft

Süchtig nach Dopamin-Kicks

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Warum starren wir wie gestört auf unsere Handy-Displays? Was genau verführt uns dazu, so viel Lebenszeit mit digitaler Berieselung zu verbringen? STUZ-Autorin Hannah hat sich diesem Problem mit einer Selbstanalyse angenommen und den Experten Prof. Dr. Daniel Z. Lieberman zum Thema Dopamin und Sucht befragt.

von Hannah Maertin

Zwanghaftes Posten

Die Ausgangssituation: Wie für viele ist mein Smartphone zum Zentrum meines Lebens geworden. Es ist der Ring der Macht und ich Gollum. Zu jeder Gelegenheit versenke ich mich in die digitale Welt von Instagram, Snapchat und Co., verbringe täglich mehrere Stunden am Smartphone. Bei jedem auch nur annähernd interessanten, lustigen oder ästhetischen Anblick verspüre ich sofort den Drang, mein iPhone aus der Tasche zu ziehen, ein Foto zu machen und es in meiner Insta-Story zu posten. Der Prozess spielt sich reflexartig ab und bei der Bildbearbeitung saugt es mich aus dem Raum-Zeit-Kontinuum. Wenn ich den Bildschirm sperre und er sich wieder in einen schwarzen Spiegel verwandelt, sehe ich mein Gesicht und fühle mich ertappt. Wann bin ich eigentlich so ein Handy- Opfer geworden?

Der Wendepunkt

Situationen wie die eben beschriebene fühlten sich immer mehr wie ein unangenehmer Kontrollverlust an und haben mich schließlich realisieren lassen, dass ich süchtig bin. Und damit meine ich krankhaft süchtig. Mehr als zwei Jahre habe ich für die Manifestation dieser Erkenntnis gebraucht. Ausschlaggebend waren der Leidensdruck und die Unzufriedenheit mit mir selbst und der Art und Weise, wie ich meine Zeit gestaltete. Als naturverbundenes Dorfkind war mir die analoge Welt immer sehr lieb gewesen, wie konnte es so weit kommen, dass ich mich von ihr entfremdet habe? Es musste sich etwas ändern. Ich wollte wieder am Leben teilnehmen und nicht mehr wie ein apathisches Zootier auf mein Handy glotzen.

Der Entzug

Meine Recherche auf YouTube ergibt: Digitale Medien sind eine Quelle leicht verfügbaren Dopamins, an dessen Ausschüttung sich mein Gehirn gewöhnt hat und daher ständig danach verlangt. Als Lösung wird mir ein digitaler Detox vorgeschlagen, der gleichzeitig ein Dopamin- Detox ist. Das Versprechen: Indem man sich der bunten Welt von Apps, Netflix und Co. entzieht, könne man sein Gehirn dazu bringen, Spaß an schwierigen Aufgaben zu finden. Denn das durch digitale Medien erzeugte Dopamin- Glücksgefühl hat sich die Natur eigentlich als Belohnung für echte Anstrengung ausgedacht. Klingt stimmig, denke ich mir und starte meinen Entzug. Schritt eins: Wecker, Festnetztelefon und Armbanduhr kaufen, um unnötige Blicke aufs Handy zu vermeiden. Außerdem: Push-Benachrichtigungen deaktivieren, Apps löschen und den Liebsten mitteilen, dass man am besten per Anruf zu erreichen ist. Bücher lesen so oft es nur geht, vor allem unterwegs und abends vor dem Einschlafen. Und am allerwichtigsten: morgens nach dem Aufstehen mindestens eine StunFebruar STUZ 13 Detox de verstreichen lassen, bevor ich den ersten Blick aufs Handy werfe.

Endlich frei

Es funktionierte. Endlich konnte ich mein Leben wieder genießen, endlich hörte mein Gehirn auf, ständig nach meinem Handy zu craven. Der Schlüssel zum Erfolg lag in der Erkenntnis, dass man strikte Vorkehrungen treffen muss. So wie Odysseus, der sich an den Mast seines Schiffes binden lässt, um dem Gesang der Sirenen zu widerstehen, so muss man sich die Möglichkeit nehmen, mit dem Suchtmittel in Kontakt zu kommen. Eine im wahrsten Sinne epische Strategie, mit der man Rückfälle im Vorhinein verhütet. Belohnt wurde ich mit Zufriedenheit, himmlischem Schlaf und einem geschärften Fokus auf meine Ziele.

Dopamin: Verlangen und Antrieb

Hormone beeinflussen unsere Gefühle sowie unser Handeln und Denken. Sie sind die biochemische Basis unseres Verhaltens. Warum das sogenannte Glückshormon Dopamin besonders mächtig ist und uns zu allerlei Unsinn verleitet, erklärte Prof. Dr. Daniel Z. Lieberman im STUZGespräch. Neben seiner Arbeit als Professor an der George-Washington-Universität ist Lieberman als Autor und Speaker tätig. Unter seinen Werken: „The Molecule of More“, ein Buch darüber, „wie Dopamin die Welt regiert und das Schicksal der Menschheit bestimmt.“ „Dopamin spielt eine viel größere Rolle, als man denkt“, mahnt der Experte zu Beginn. „Es sorgt dafür, dass wir Verlangen und Antrieb verspüren und uns für zukünftige Vorhaben motivieren können. Es ist wie ein Leitfaden in die Zukunft.“

Designer-Droge Social Media

„Wenn Dopamin-Schaltkreise durch ein bestimmtes Verhalten aktiviert werden, entsteht die Tendenz, dieses Verhalten wiederholen zu wollen“, so mein Gesprächspartner weiter, am drastischsten zeige sich dies bei einer Drogensucht. Die in Rauschmitteln enthaltenen Substanzen erzeugen eine künstliche Stimulierung unseres Dopaminsystems, die so stark ist, dass sich das Bedürfnis nach Wiederholung schnell in eine zwanghafte Sucht verwandelt. In Bezug auf Social Media sei besondere Vorsicht geboten, erklärt Dr. Lieberman. Denn, „die Apps werden von Menschen designt, die psychologisch ausgebildet sind und bestens darüber Bescheid wissen, wie die Dopaminausschüttung stimuliert werden kann.“ Das heißt, sie sind bewusst dazu konzipiert, App-User so süchtig wie möglich zu machen.

Billige Trips an jeder Ecke

„Technisch gesehen wird man nicht nach Dopamin, sondern nach Verhaltensweisen süchtig, die die Dopaminausschüttung stimulieren“, differenziert Dr. Lieberman. Das Tückische daran: Anders als in unserer archaischen Vergangenheit bekommen wir das Dopamin-High nicht erst, nachdem wir uns angestrengt haben, sondern ganz einfach per Knopfdruck. „Wir können zum Supermarkt gehen und eine Tüte Chips kaufen, die uns wesentlich mehr Dopamin verschafft als zum Beispiel eine mühsam gesammelte Handvoll Beeren. Anstatt uns für Spitzenleistungen anzustrengen und so die Anerkennung der Gruppe zu bekommen, posten wir ein Meme und warten auf Likes. Die Konsequenz daraus: Wir tendieren dazu, den einfachsten Weg zu gehen und die harte Arbeit zu vernachlässigen, die es für persönliches Wachstum und Zufriedenheit eigentlich braucht.“

Bin ich süchtig?

„Psychiater diagnostizieren eine Sucht, wenn Patient:innen die Kontrolle über ihr Verhalten verloren haben und sich dies negativ auf ihr Leben auswirkt. Bei einer Alkoholabhängigkeit werden Menschen weitertrinken, auch wenn sie deswegen ihren Beruf oder ihre Familie verlieren“, erklärt der Psychiater. „Viele Menschen kennen die Erfahrung, dass man sich schlecht fühlt, nachdem man sich im endlosen Scrollen verloren hat und trotzdem fällt es ihnen schwer, damit aufzuhören. Dieses zwanghafte Verhalten zu überwinden, kann sehr schwierig sein. Bleibt der Dopamin-Effekt aus, entsteht das sogenannte Craving, ein unangenehmes Gefühl, das uns dazu bringt, nachzugeben. Alle Dinge, die an unsere Sucht erinnern, können ein solches Craving auslösen. Daher ist es effektiver, Apps zu löschen, anstatt die Nutzung zu reduzieren“, rät Dr. Lieberman abschließend. „Denn jedes Mal, wenn wir die Apps checken, entsteht ein Craving nach mehr.“

Mein persönliches Fazit

Am erschreckendsten finde ich, dass es so lange unbemerkt blieb, wie sehr der ständige Blick aufs Handy meine Lebensqualität beeinträchtigt hat. Vielleicht, weil es heute als völlig normal gilt. Es ist auch normal, sich permanent lustlos zu fühlen und der Welt überdrüssig zu sein. Gerade im öffentlichen Raum spürt man diese kollektive miese Stimmung. Das Handy erscheint als einziger Fluchtweg aus dieser Unzufriedenheit, dabei ist es in Wahrheit die Ursache dafür. Mein Tipp: Informiert euch über digitalen Dopamin- Detox und betrachtet ihn als Selbstexperiment. Erforscht, wie sich euer Leben anfühlt, wenn das Handy nur noch ein beiläufiger Gebrauchsgegenstand ist. Wenn sich nichts verbessert, könnt ihr jederzeit zu alten Verhaltensmustern zurückkehren. Ihr könnt nicht verlieren, sondern nur gewinnen.

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