Lade

Tippen zum Suchen

Mainz

Der künstliche Kiez

Teilen

Vor elf Jahren erschuf eine Reihe von Bars und Kneipen in Mainz den Begriff Südstadt – die meisten von ihnen sind inzwischen verschwunden. Über den gescheiterten Versuch, einen Party-Kiez zu erfinden.

von Konstantin Mahlow

Der kalte Wind bläst an diesem Samstagabend erbarmungslos durch die Kapuzinergasse und gerade auf die Dagobertstraße zu. Auf der Gasse ist kein Mensch zu sehen, doch hinter den Scheiben des „Kamin“ oder „Dagobert“ sind ihre Silhouetten eindeutig zu erkennen. Es ist gut gefüllt, nicht zu laut, ein ganz normaler Abend eben im ehemaligen Party- Quartier von Mainz. Vermeintlich also ganz anders als damals, 2011. Als das Viertel noch vor lauter Besuchermassen kochte. Menschen zogen von Bar zu Bar und dabei immer mehr Gleichgesinnte mit sich, bis sie wie ein durstiger Schwarm in eine Kneipe nach der anderen gespült wurden und ohne Hemmungen ihr Geld ausgaben. Zumindest muss es so oder so ähnlich in der Vorstellung der örtlichen Wirte ausgesehen haben. In der Realität fischten die erfahrenen Gastronomen in der Augustinerstraße einen großen Teil schon ab. Andere Bargeldgründe tummelten sich von vornherein lieber im Bleichenviertel oder in der Neustadt. Also musste ein Plan her.

Ein Zusammenschluss aus, je nach Quelle, sieben oder acht Wirten in der südlichen Altstadt hatte die Bombenidee: Sie wollten ihren Teil des Viertels ein Label verpassen, dass sie vom Rest der Stadt abgrenzen würde. Dadurch könnte ein konkurrenzstarker Kiez entstehen, dessen künstlich aufgeblasene Reputation als Partymeile schon bald neugieriges wie zahlungsfähiges Publikum anlocken würde. Wie eine Staatsgründung im Staate, nur zum Saufen. Die überlieferten Namen dieser kleinen, elitären Gruppe von Marketing- Genies: Panama, Aqua Colonia, Comodo Bar, Chilli Pepper, Pfeffermühle, Andaman und Kamin. Sie zogen die Grenzen ihres neuen Königreiches ungefähr vom Dom zum Südbahnhof und östlich bis zum Malakoff und tauften es schließlich „Südstadt“. Das klang so nach Großstadt, wie die Kölner Südstadt oder South Chicago.

Um das neue Label unter das Volk zu bringen, wurden regelmäßig Bar-übergreifende Partynächte veranstaltet. Etwa die Reihe „SÜDSTADT! Höher, schneller, Südstadt!“ oder die „Südstadt Elektronica“. Genauso bescheiden wie ihre Titel lasen sich auch die Infoflyer: „Südstadt Elektronica, ein neues Festival in der Südstadt, an dem wir dem bekanntesten Südstädtler zum Geburtstag, in unserem schönen Stadtteil, gratulieren. Wer es noch nicht weiss, kein anderer, als Johannes Gutenberg wurde hier geboren, lebte hier und verstarb auch hier. Der Mann des Millenniums ist einer von uns und dies muss gebührend gefeiert werden!“ (O-Ton). Johannes Gutenberg, der weltweit bekannte Südstädter, geboren im später einmal „feierwütigsten Punkt der Stadt, in der wohl karnelvalistischtsten Metropole Deutschlands“.

Ja, Fastnacht gab es logischerweise auch. Hier ging es schließlich ums Geldverdienen. Die semi- bekannte Veranstaltung „Mainzer Südstadt Fastnacht“ überlebte immerhin bis 2017 und durfte auf ihren letzten Postern sogar mal einen Star wie Sven Hieronymus zeigen, der darauf schon fast legendär zynisch dreinblickt. Im Viertel waren dann, zur fünften Jahreszeit, die „Fahnen auf Sturm gestellt. Jung und Alt wandern durch unsere Top Locations und machen die Nacht zum Tag – Party non Stopp, tolle Live Bands mit Meenzer Kult Klassikern bis hin zu Charts und Schlagern. Wer die Südstadt kennt, der weiß, hier spielt immer die richtige Musik“ (erneut O-Ton). Es ist einfach dieser spezielle Charme, die feine Kombination aus „Party, Polemik und Konzerten“, die den Kiez zumindest für eine kurze Zeit und vermutlich auch nur innerhalb eines großen Bekanntenkreises zu der berüchtigten Meile machte, die ihre Wirte immer sehen wollten.

Ob es den Begriff „Südstadt“ vor dem Jahr 2011 in Mainz schon einmal gegeben hat, ist nicht zweifelsfrei zu beantworten. Vermutlich nicht. Klar ist heute, dass er nicht überlebt hat. Wer danach googelt, landet am ehesten beim „Mainzer Hof“ in der Kölner Südstadt, ansonsten findet sich nur eine Handvoll Hinweise, die verstreut in der Bildersuche des World Wide Web übriggeblieben. Von den „magischen Sieben“, wie sie sich im Laufe ihrer kurzen Regentenzeit selbst nannten, sind heute nur noch zwei da. Und weder im Kamin noch in der Comodo Bar konnte sich auch nur einer der Angestellten bei einer kurzfristigen Nachfrage an die Südstadt erinnern. Ihre Chefs dürften das Kapitel lieber für beendet sehen. Die sieben Wirte, sie sind gescheitert an der unnachgiebigen Stadtstruktur, der Skepsis ihrer Mitmenschen – und wahrscheinlich auch an einer Prise Größenwahn.

Ein kleiner Hinweis ließ sich dann aber doch noch finden: Im Infoteil des Nachtclubs „Roxy“ wird noch heute mit „unvergesslichen Abenden im Herzen der Mainzer Südstadt“ geworben. Au weia. War der Laden vielleicht das ominöse achte Mitglied, gar die graue Eminenz im Hintergrund? Es sind noch viele Fragen offen …

Tags
Vorheriger Artikel
Nächster Artikel