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Wiesbaden

Von Königen und Bauern

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Der Sfr Stiller Zug e. V. in Wiesbaden besteht aus knapp 20 Mitgliedern, die ein und dieselbe Leidenschaft teilen: Schach. Sie zeigen, dass das Spiel mehr ist als das Bewegen von Figuren.

von Nathalie Klump

Dekadent eingerichtete Räume mit hohen Decken, gefüllt mit der nahezu greifbaren Spannung in der Luft und die Stühle besetzt von den klügsten Köpfen der Welt, alle fokussiert auf ein Ziel: den König ihres Gegners unbeweglich zu machen. Dies ist das Bild, was durch das Finale der Netflix-Serie „Das Damengambit“ bislang mein Verständnis von Schach geprägt hat.
In dem Moment, in dem wir den ersten Fuß in den Infoladen setzen, ein kleiner Raum versteckt in einem grauen Gebäude im Wiesbadener Westend, sind wir gezwungen, dieses Bild von Schachspieler:innen mit ihren Pullundern und steifen Mienen zu verwerfen. Denn wir werden hier mit Bier, Gelächter und Musik im Hintergrund empfangen.

Begrüßt und zur Theke geführt werden wir vom Schatzmeister Ernst Machwirth. Schach spielt er seit seiner Kindheit, zunächst als „Lückenfüller“, ohne wirklich Sinn für das Spiel zu haben. Dies hat sich jedoch über die Jahre stark geändert: Sein Interesse ist geweckt und er fuchst er sich immer mehr in die verschiedenen Facetten des Spiels hinein, bis er 2017 dann beim Stillen Zug landet. Mit in der Runde ist auch der 1. Vorsitzende, Stefan Sitta, der die Schach AG an der Blücherschule betreut.

Die Entstehungsgeschichte des nun 15 Jahre alten Vereins beginnt am Schachbrett am „Warmen Damm“ in Wiesbaden. Dort treffen sich die Gründer erstmals, unter anderem Peter Weiß. Erst spielen sie zu zweit, dann mit immer mehr Menschen, die sich nach der nächsten Partie sehnen. Mit der wachsenden Anzahl von Schachliebhaber:innen, die sich dieser Gruppe anschließen, wachsen auch die Ziele – dann dauert es nicht lange, bis der Verein offiziell angemeldet wird, um auch an Regionalspielen teilnehmen zu können. Nun treffen sie sich jeden Montagabend im Infoladen, der auch von anderen Vereinen genutzt wird, um Spiele zu analysieren, sich gegenseitig herauszufordern und unterhaltsame Anekdoten über Schachspieler und Turniere auszutauschen.

Netflix & Chess
In diesem Raum fühlt man auch förmlich, dass genau das der Fokus ist: das Miteinander, der Austausch. Während in den letzten Monaten Online-Alternativen zum analogen Schachspiel immer mehr Aufmerksamkeit bekommen, wird hier schnell klar, dass die Partien auf Chess.com lange nicht mit der warmen Atmosphäre, der Gitarre im Hintergrund und den Gesprächen, während den verschiedenen Spielen vergleichbar sind. Hier fühlt man sich als Neuling sofort gut aufgehoben und will sich direkt selbst an ein Schachbrett setzen. Allerdings fällt auch auf, dass sich der Anteil von Frauen und jüngeren Menschen im Schachverein gering hält: Sitta berichtet, dass zwar ein Drittel seiner Schach AG aus Mädchen besteht, sich das jedoch stark verläuft und an den Turnieren vergleichsweise wenig Frauen teilnehmen. „Schach fasziniert die Mädchen schon auf eine Art und Weise. Ich glaube aber dieses Gewinner-Gehabe ist nicht so da“, erklärt Sitta. Dies deckt sich mit Angaben des Deutschen Schachbunds: Bei den etwa 47.000 von ihnen organisierten Spielen sind nur zwei Prozent der Teilnehmenden Frauen. Auch im Stillen Zug ist bisher nur eine Frau Mitglied – Nina Spiegel ist seit circa fünf Jahren dabei und hat Schach von ihrer Mutter als Kind beigebracht bekommen. Sie spielt aktiv bei den Turnieren mit. Zudem ist sie mit ihren 32 Jahren eines der jüngsten Mitglieder des Vereins.

Das Klischee vom Schachspieler als alter Mann scheint nicht allzu weit hergeholt. Sitta beobachtet jedoch auch einen Zufluss an jungen Mitgliedern im Schach und ein wachsendes Interesse bei der Altersgruppe von 18 bis 40 Jahren. Vor allem mit der Serie „Das Damengambit“, die 2020 auf Netflix erschienen ist, der Pandemie und der wachsenden Zugänglichkeit zu Taktiken, Regeln und Tricks, scheint Schachspielen wieder zu einer Art Trend zu werden.

Einzeln, nicht allein
Die Mitglieder des Stillen Zugs nehmen auch an Turnieren teil. Zurzeit spielen sie in der Bezirksoberliga. Im Schach bedeutet das, dass sie mit genug Siegen bald zur Landesklasse aufsteigen könnten. Hier spielen dann vier Klassen gegeneinander, aufgeteilt in Nord-, Süd-, Ost- und Westhessen. Stefan Sitta bezeichnet in diesem Kontext Schach als „Mannschaftsspiel“ – denn während man Schach zwar einzeln gegeneinander spielt, verlaufen alle Spiele auf einem Turnier parallel. Sitta beschreibt, was für eine Auswirkung dies auf die noch laufenden Spiele haben kann: „Irgendwann hört ein Spiel auf und dann weiß man: okay, Punkt für die anderen oder, okay, ein Punkt für uns – und dann muss man gucken, dass man da irgendwie weiterspielt“ und gegebenenfalls seine Strategie daran anpassen, was um einen herum geschieht. Und weil man als Team spielt und für das Team Siege und Punkte sammelt, treffen sie sich auch zum Trainieren außerhalb des offenen Vereinsabends, um dann die Musik auszuschalten und konzentriert Schach zu spielen.

Wenn du auch mal hautnah dabei sein möchtest oder gar Interesse an einer kurzen Schachpartie hast, kannst du montags um 19:30 Uhr vorbeischauen, denn da sind alle willkommen. Ob Mitglied oder nicht, ob jung oder alt – jede:r darf erscheinen, ein Bier oder eine Apfelschorle trinken und an den spannenden Gesprächen und belebten Schachpartien teilnehmen.

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