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Gesellschaft

Sport verdeckt Mord

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Wer sich nicht für Sport interessiert, verkennt schnell seine politische Dimension – wie Staaten mit Hilfe von Aufmerksamkeitsökonomie und medialem Dauerfeuer von Menschenrechtsverletzungen ablenken.

von Leon Groß

Die menschliche Aufmerksamkeit ist ein endliches Gut, das man erwerben kann. So beschreibt es Georg Franck in seinem Buch „Ökonomie der Aufmerksamkeit“. Der Philosoph Wolfram Eilenberger bezeichnet die Aufmerksamkeit gar als „wichtigste Ressource unserer Zeit.“ Sie ist individuell, aber trotzdem steuerbar und sie formt Realität für diejenigen, um deren Aufmerksamkeit es sich handelt.
Eben diesen Umstand machen sich Machthaber seit vielen Jahren zunutze. Mit Hilfe von medialen Großereignissen wie beispielsweise Sportveranstaltungen kann es gelingen, das Image eines ganzen Landes zu verändern. In diesem Zusammenhang spricht man spätestens seit der WM in Katar von „Sportswashing“. Der Begriff, der 2018 ins Oxford English Dictionary aufgenommen wurde, ist recht jung. Die Praxis ist hingegen wesentlich älter. So sah Propaganda Minister Josef Goebbels in den 1936 von Nazi Deutschland veranstalteten Olympischen Winterspielen die Möglichkeit, „die weltweite öffentliche Meinung mit kulturellen Mitteln zu beeinflussen.“
Sport eignet sich zu diesem Zweck besonders, weil er unverfänglich zu sein scheint. In einer krisenbelasteten Welt bietet Sport vielen Menschen eine Möglichkeit zur Zerstreuung und zur Realitätsflucht. Für manche ist er Entspannung, für andere schlicht uninteressant, für die meisten ist er unpolitisch.

Dass dieses Bild schon lange nicht mehr zutrifft, beschreibt auch Christian Streich: „Fußball ist hochpolitisch – wer was anderes behauptet, der hat nicht hingeschaut“. Der Bundesliga Trainer bezieht sich mit dieser Aussage auf die jüngsten Investitionen des saudi-arabischen Staatsfonts „PIF“ in die eigene Saudi Pro League. Das Volumen des Staatsfonds liegt bei geschätzten 650 Milliarden US-Dollar, was erklärt, wie bis dahin unbekannte, jedoch in Staatsbesitz befindliche Fußballclubs in diesem Transfer-Sommer über 955 Millionen Dollar für Spieler wie Cristiano Ronaldo oder Neymar Junior ausgeben konnten. In der saudischen Pro League spielen damit nicht nur acht der zehn am besten verdienenden Sportler der Welt, sondern auch die mit den reichweitenstärksten Social-Media- Kanälen. Allein Cristiano Ronaldo soll mit über 606 Millionen Instagram-Followern mehr Menschen erreichen als jede Zeitung. Im Vertrag des Spielers Neymar Junior soll es sogar eine Klausel geben, durch die er mit jedem positiven Instagram- Post über Saudi-Arabien eine halbe Million Dollar verdient. So werden über soziale Netzwerke und Sportnachrichten-Dienste nicht nur Fans der Spieler, sondern sportinteressierte Menschen auf der ganzen Welt erreicht. Diese assoziieren Saudi-Arabien in Zukunft möglicherweise weniger mit der Verfolgung von Homosexuellen, der systematischen Unterdrückung von Frauen oder der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi, sondern zunehmend mit Fußball. Oder wie Christian Streich es zusammenfasst: „Du kannst über den Fußball ganz viele politische Dinge versuchen zu legitimieren.“ Das ewige Gegenargument lautet, dass in der gesteigerten Aufmerksamkeit auch eine Chance liege und medialer Druck zu Reformen führen könne. In jeder Debatte zu Sportswashing beschwört jemand hoffnungsvoll die Chancen der Aufmerksamkeit, in diesem Fall Jürgen Klopp: „Wenn nach und nach immer mehr Spieler dahin kommen und immer mehr berichtet wird, werden wir mehr verstehen, was wichtig ist und es wird sich mehr zum Positiven verändern“. Gegen dieses Argument sprechen die Geschichte des Sportswashings, sowie die flüchtige Natur der Aufmerksamkeit. Die mediale Aufmerksamkeit, bezogen auf die Olympischen Spiele in Berlin 1936, konnten die von Nazi-Deutschland verübten Gräueltaten weder verhindern noch abmildern. Auch im Fall der WM in Katar, bei der dieses Argument immer wieder aufgeführt wurde, hat sich fundamental nichts verbessert. Die Organisation Human Rights Watch hält dementsprechend fest: „Die FIFA und die katarischen Behörden haben immer noch nicht die Arbeitsmigranten für die Menschenrechtsverletzungen entschädigt, die sie durch die WM 2022 in Katar erfahren haben.“ Genauso wie in Katar wird auch die auf Saudi-Arabien gelenkte Aufmerksamkeit nicht dafür sorgen, dass Fußballinteressierte über Jahre die Menschenrechtsituation im Land verfolgen. All das Geld, die Reichweite und die Sportveranstaltungen können die Menschenrechtsverletzungen zwar nicht ungeschehen machen aber sie können sie zur Randnotiz werden lassen. So kann aus dem Land, dessen Kronprinz das Zersägen eines in Ungnade gefallenen Journalisten angeordnet hat, das Land werden, in dem Cristian Ronaldo Fußball spielt.

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