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Gesellschaft

Der Parasit

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von Lilly Lopez

Vor etwa zehn Jahren wurde bei mir eine Depression diagnostiziert. Chronisch. Schwer. Diese Begriffe lasten seither wie nasse Gewichte auf mir. Der ekelhafte Parasit bekam damit einen Namen, eine Form und nahm noch mehr Platz in meinem Leben ein. Er hatte sich über die Jahre in mein inneres Ich geschlichen, meine Gedanken und meinen Körper befallen. Mir unermüdlich meine Lebensenergie und Freude geraubt. Ich glaube, es hat schon sehr früh angefangen, ganz vorsichtig. Bis er sich schließlich komplett ausgebreitet hatte.

Vor sieben Jahren, kurz nach meinem Abitur, erreichte das stille Leiden seinen Negativhöhepunkt und es führte kein Weg mehr an einer stationären Behandlung vorbei. Dafür bin ich auch dankbar, denn ohne den Klinikaufenthalt und damit einhergehende Verordnung von Medikamenten hätte mein Parasit den Krieg mit hoher Wahrscheinlichkeit gewonnen. Wer zwischen den Zeilen lesen kann, weiß was genau ich damit meine. Auch wenn ich mich nicht vollständig habe besiegen lassen, musste ich schmerzhaft feststellen, dass mir die Krankheit sehr viel geraubt hatte. Ihre größte Trophäe schien mein Lebensantrieb zu sein.

Zeitsprung ins Präsens: Die meiste Zeit verbringe ich immer noch im Bett, tagsüber gleichauf wie nachts, mein Schlaf scheint den Parasiten wohl zu nähren. Die bösen Gedanken sind durch die Medikamente zwar schwächer und seltener geworden, aber die Müdigkeit, mit der ich nach wie vor kämpfe, ist permanent ein belastender Bestandteil meines Alltags. Ob es ein Symptom der Depression ist oder eine Nebenwirkung des hochdosierten Medikaments oder eine toxische Mischung aus beidem, bleibt wohl für immer ungeklärt. Denn es ist sehr schwer etwas nachzuvollziehen, was sich nicht fassen lässt. Mentale Erkrankung. Der abstrakte Feind.

Andererseits ist Schlaf aber auch ein höchst verlockendes und bewährtes Mittel der Verdrängung. Zu den schlimmsten Zeiten hatte ich alle schlechten Gedanken und Gefühle im Schlaf erstickt. Nicht gelebt, sondern existiert. Kaum Tageslicht gesehen. Soziale Kontakte gemieden. Bin einfach dahinvegetiert.

Oft wird vergessen, dass Medikamente bei psychischen Belastungen keine permanente Lösung darstellen. Auf ein Wundermittel bin ich persönlich leider noch nicht gestoßen. Die Pillen machen es lediglich etwas erträglicher, sein Leben mehr oder weniger zu bewältigen. Sie beschwichtigen den Parasiten und halten ihn im Zaum. Und sie sind eben oft der Grund, warum man überhaupt noch da ist, um weiterzukämpfen.

Bis heute bedarf es für die einfachsten Tätigkeiten schon einen immensen Kraftaufwand. Ein Wocheneinkauf zum Beispiel stellt dabei eine enorme Herausforderung dar. Ich habe mir als Ziel gesetzt, jeden Tag zu duschen und Zähne zu putzen. Das funktioniert auch sehr gut, aber manchmal fällt bei mir die ein oder andere Mahlzeit aus. Entweder aus Appetitlosigkeit oder weil ich einfach keine Kraft aufwenden kann, mir etwas zuzubereiten.

Ob es mir leichtgefallen ist, diesen Text hier zu verfassen? Nun, ich saß zugegeben mehrere Wochen dran. Ich hatte mit dem Tippen angefangen, anfänglich noch voller Elan, naja, soweit man das eben als Elan einstufen kann. Gleich nach ein paar Sätzen brach ich ab und schloss das Dokument. Ich habe versucht, mein Vorhaben bewusst zu ignorieren, da ich Angst davor hatte, mich mit aufs Neue mit den negativen Gedanken auseinandersetzen zu müssen, mit den lähmenden Gedanken, die mich zu dem Menschen machen, der ich bin. Das hat leider nicht so optimal geklappt. Manchmal erschienen mir kurz vor dem Schlafengehen die klaffenden weißen Seiten des leeren Dokumentes vorm inneren Auge und ich fing an, mir selbst Druck zu machen. Sei kein Loser. Nicht schon wieder abbrechen. Daher kamen mir die randomisierten, meist nächtlichen Motivationsschübe gerade recht. Denn auch der Parasit scheint sich ab und zu mal gehen zu lassen und seine Klauen um mich herum zu lockern. Wenn das passiert, nutze ich meistens die Kraft, um die Bude sauber zu machen oder was für die Uni zu erledigen. So entstand auch dieser Text.

Meine Hobbies hat der Parasit zum größten Teil beschlagnahmt. Als Kind und Teenager war das Schreiben meine größte Leidenschaft. Ich schrieb in jeder freien Minute, anfangs auf Papier, dann am klobigen, alten Computer, später am Laptop. Geschichten, Gedichte, Textfetzen. Nach und nach wurden die Texte kürzer, seltener, die Geschichten blieben unvollendet. Leere Seiten. Voller Selbsthass.

In der Oberstufe kam es zu einer besonders stressigen Phase und ich fiel noch tiefer in mein dunkles Loch. Gezogen an den Armen vom Parasiten. Als Folge meiner Frustration und meines Unwohlseins löschte ich alle Textdokumente und näherte mich die nächsten Jahre keinem kreativen Schreibprojekt mehr. Ich muss oft an die Zeiten zurückdenken, in denen die Gedanken und Ideen nur so aus mir herauspurzelten und ich mit dem Schreiben kaum hinterherkam. Ich muss zugeben, dass mich dann ein sehnsüchtiges Stechen im Herzen heimsucht und ich denke daran, dass ich vermutlich nie wieder diese Person sein werde. Dann klopft mir der Parasit auf die Schulter: „Es könnte schlimmer sein“, tröstet er mich.

Illustration: Nikolas Hönig

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