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Gesellschaft Stadt Umwelt Wiesbaden

Die Plastikfänger von Biebrich

Die Initiativgruppe „Ideen für Biebrich“ will mit einer innovativen Idee den Rhein sauberer machen und für das Umweltproblem sensibilisieren.

von Inken Paletta

In Biebrich am Rhein findet man beim Spaziergang nicht nur Steine und Muscheln, sondern oft auch Einweg-Vapes, Zigarettenstummel und anderen Müll. „Täglich treibt etwa eine Tonne Müll den Rhein runter“, erklärt Vorstandsmitglied Sibylle Bimmermann von der Initiativgruppe Ideen für Biebrich. Jährlich gelangen so rund 150.000 Kilogramm Plastik ins Meer. Studien belegen: Mikroplastik ist bereits in Fischen und im menschlichen Gehirn nachweisbar. 50 Prozent des weltweiten Mikroplastiks stammen aus Reifenabrieb. Böden sind stärker belastet als Gewässer. Während Politik und Behörden noch über Zuständigkeiten diskutieren, handelt eine kleine Gruppe Engagierter. Seit 2018 setzt sich die Initiativgruppe Ideen für Biebrich für Umwelt und Lebensqualität in ihrem Stadtteil ein. „Jeder kann vor der eigenen Haustür etwas bewegen“, betont Frank Döcke, ebenfalls Vorstandsmitglied der Initiativgruppe. Aus monatlichen Müllsammelaktionen entstand eine Bewegung. Die App „Biebrich bewegt“ zählt bereits 3.000 Nutzer. Das Kulturkaufhaus Biebrich, mittlerweile ein eigener Verein, und die Sommerbar bereichern den Stadtteil mit Kultur und Events. Aktuell sucht das Kulturkaufhaus neue Räume, um sein Angebot zu erweitern.

Müllfalle mit System
Die „Rheinkrake Wiesbaden“ ist wohl das bislang ehrgeizigste Projekt. Inspiriert von der Rheinkrake in Köln, soll am Biebricher Rheinufer, links des Schlosses in Richtung Schierstein, am Rhein eine fest verankerte Passivmüllfalle entstehen. Die Krake nutzt die Strömung des Rheins, um Müll in zwei Auffangkörbe zu leiten, ganz ohne Energie, nur mit Wasserkraft. Der erste Korb fängt große Müllteile, der zweite feinere Partikel. „Fische und Kleinstlebewesen werden nicht gefährdet“, sagt Bimmermann. Eine Webcam soll das Müllaufkommen später auch live ins Internet übertragen. Solarzellen sorgen für die vorgeschriebene Beleuchtung für die Schifffahrt. Und die Kosten? Rund 40.000 Euro – finanziert durch private Sponsoren wie die Stiftung Flughafen Frankfurt oder die Wepa Stiftung. „Uns war wichtig, unabhängig von Steuergeldern zu bleiben“, erklärt Vorstandsmitglied Thomas Krebs. „Wir hätten das Projekt gerne mit einem lokalen Ingenieursbüro und einer lokalen Werft umgesetzt, aber leider hat sich niemand aus der Nähe gefunden, der das nötige Knowhow hat“, ergänzt er. Schließlich fand sich ein Ingenieurbüro aus Nordrhein-Westfalen, mit dem man nun die Biebricher Steglösung umsetzen will.

Eine Kampagne, die aufrüttelt
Vom 12. September bis 2. Oktober 2025 hat die Kampagne „Klar zum Wandel – Wiesbaden gegen die Plastikflut“ das Plastikproblem erlebbar gemacht. In der Orangerie am Biebricher Schloss hat der Fotograf Clemens Molinari KI-generierte Bilder von Plastik-Meereswelten gezeigt. Im „Müllseum“, einer Kooperation von Ideen für Biebrich und der Initiative „CleanupWiesbaden“ wurden skurrile Funde der Clean-ups gezeigt: eine kaum verrottete Pril-Flasche aus den 1960er-Jahren, gut erhaltene Capri-Sonne-Beutel aus den 1970er-Jahren sowie weiterer Alltagsplastikmüll. Der Beweis: Plastik verrottet auch nach Jahrzehnten kaum. „Bei einem Firmen-Cleanup im Naturschutzgebiet Wallufer Bucht haben wir vor kurzem rund 1,4 Tonnen Plastikmüll an nur zwei Tagen eingesammelt. Der Rhein verkommt zur Mülldeponie. Das muss sich ändern“, sagt Tanja Methien von CleanupWiesbaden. Die Kampagne setzt nicht nur auf Aufklärung, sondern bietet auch konkrete Lösungen. Von Vorträgen zur Kreislaufwirtschaft über Upcycling-Workshops für Kinder bis hin zu einem Mitnahme-Flohmarkt, das Programm war vielfältig. Den Höhepunkt bildete eine Podiumsdiskussion mit Experten, die über globale Verantwortung, die Rolle der Wirtschaft und Plastikalternativen diskutiert haben. Moderiert wurde die Runde von Thomas Ranft, Schirmherr der Kampagne und bekannt als Moderator der hr-Sendung „alle wetter!“.

Aufruf zum Mitmachen
Die Rheinkrake ist ein Symbol für lokales Engagement, das globale Probleme angeht. Geplant ist auch eine langfristige Kooperation mit der Universität Mainz und dem Studiengang Umweltwissenschaften. Es soll eine gemeinsame Wetterstation geben, Feinstaubmessungen und Forschung zu Mikroplastik. Auch Schulklassen sollen die Krake besuchen. „Durch Müllsammelaktionen und Workshops lernen die Kinder, wie man Plastik vermeidet und dass es wichtig ist, auf die Umwelt zu achten. Wir wollen, dass die Menschen begreifen, was Plastik mit unserer Umwelt macht – und mit uns selbst“, so Bimmermann. In Köln muss zudem jeder neue Schiffssteg ein Nachhaltigkeitskonzept vorweisen. „Wir hoffen, dass die Rheinkrake Wiesbaden auch in Hessen eine politische Signalwirkung hat“, sagt Förderer Ingmar Lohmann von der Wepa Stiftung. Die Initiativgruppe Ideen für Biebrich beweist: Veränderung beginnt im Kleinen und wirkt im Großen. Der vielleicht wichtigste Effekt der Rheinkrake Wiesbaden ist, dass sie ein Bewusstsein für das Müllproblem schafft, Menschen verbindet und motiviert, nicht weg-, sondern hinzusehen, selbst aktiv zu werden und somit Teil der Lösung zu sein.

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Rheinkrake Wiesbaden
Cleanup Wiesbaden
Müllsammelaktionen von CleanupWiesbaden: Jeden ersten Sonntag im Monat, 10–12 Uhr, Muschelstrand Biebrich.
Foto: Cleanup Wiesbaden

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