Satire zwischen Schellack und Plakaten
Theater, Kabarett, Musik – es ist viel los auf und neben den Bühnen der STUZ-Region. Wir stellen die Spielstätten in der Region vor. In dieser Ausgabe: Deutsches Kabarettarchiv in Mainz.
von Tim Porzer
Der Walk of Fame des Kabaretts führt in die Geschichte der Satire, die sich im Gewölbe des Proviantmagazins in Mainz zwischen Büchern, Plakaten und Schellackplatten entfaltet. Dort ist seit 2004 das Deutsche Kabarettarchiv beheimatet. Der Weg dorthin ist ein mit den „Sternen der Satire“ gepflasterter Fußweg zwischen unterhaus, Institut français und Proviantmagazin. Jeder Stern ist einer bedeutenden Persönlichkeit des deutschsprachigen Kabaretts gewidmet. Das Kabarettarchiv ist Stiftung, Archiv, Museum und Bühne zugleich. „Das ist etwas ganz Besonderes, was Mainz hat“, weiß Martina Habner-Keiffenheim. Die Archivleiterin bildet gemeinsam mit Nicole Roth als Verwaltungsleiterin samt ihrem kleinen Team das Herz und die Seele des Archivs.
Aus Privatsammlung gewachsen
Seine Anfänge hat das Kabarettarchiv Reinhard Hippen zu verdanken. Als großer Kabarettenthusiast und begeisterter Sammler wurde Hippen von seiner Leidenschaft für den in Mainz lebenden Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch in die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt gelockt. Als der Umfang von Hippens Privatsammlung immer neue Dimensionen annahm, wurde daraus 1961 das Deutsche Kabarettarchiv. Inzwischen ist der Bestand des Archivs auf eine beinahe unerschöpfliche Sammlung von 20.000 Plakaten, 33.000 Büchern und 25.000 Tonträgern angewachsen. Hinzukommen Noten, Karikaturen, Videomaterial und vieles mehr. Besondere Schätze sind die Nachlässe, von denen das Kabarettarchiv viele hütet – etwa der Nachlass der berühmten Berliner Kabarettistin Hannelore Kaub oder die Sammlung der Mainzer Kabarettgröße Hanns Dieter Hüsch. Nicole Roths Lieblingsstück ist ein Plakat vom Chat Noire, einem beliebten Pariser Kabarett im 19. Jahrhundert auf dem Montmartre. Es stammt aus dem Jahr 1896 und ist eines der ältesten Plakate des Archivs. Martina Habner-Keiffenheim begeistert das Gästebuch des Berliner politisch-literarischen Kabaretts „Die Katakombe“ von Bernhard Fink. Darin findet sich auch ein Eintrag des bekannten Lyrikers Joachim Ringelnatz. Für beide bleibt aber das Persönliche das Besondere an ihrer Arbeit: „Es ist ein berührender Moment, wenn ein Kabarettist bei uns vorbeikommt und uns seinen künstlerischen Nachlass übergibt.“ So wie der englische Kabarettist Peter Freeman, der lange in Wiesbaden beheimatet war. „Er hatte einen Flohzirkus in einem Koffer und hat immer gefragt, ob es dem Floh auch gut geht. Wir haben dann geantwortet, dass er sich sehr wohlfühlt.“
Ort der Demokratiegeschichte
Das Kabarettarchiv in Mainz ist – gemeinsam mit seiner Zweigstelle in Bernburg an der Saale für DDR-Kabarett – bundesweit das einzige Spezialarchiv dieser Art und die zentrale Forschungsstätte für die Entwicklung des Kabaretts, der Satire und Kleinkunst im 20. und 21. Jahrhundert. Forschende, Kunstschaffende und Interessierte finden hier gleichermaßen reiches Quellenmaterial zu Theorie und Formen der Satire, zu Festivals und Gastspielen des Kabaretts und zu Kleinkunstpreisen sowie zu Künstlern und Künstlerinnen dieses Genres. Das Archiv verfügt neben Arbeitsplätzen auch über zwei Digitalisierungsplätze. Im September dieses Jahres wurde dem Deutschen Kabarettarchiv in Mainz mit der Auszeichnung als „Ort der Demokratiegeschichte“ eine besondere Ehre zuteil.
Archiv, Museum, Bühne
Die Devise des Kabarettarchivs lautet: gesammelt, archiviert, herausgeholt. „Damit das nicht alles nur in Ordnern, Kartons und Schubladen liegt, haben wir das Museum aufgebaut“, erzählt Martina Habner-Keiffenheim. Regelmäßige Ausstellungen sind ein fester Bestandteil des Programms. Die aktuelle Ausstellung adressiert ein tagtägliches Problem. Noch bis Juni 2026 zeigt das Kabarettarchiv unter dem Titel „Benjamin, ich hab‘ nichts anzuzieh’n“ die stilprägenden Notentitelblätter der 1920er Jahre. Die Titelblätter verbinden Illustration, Noten und Werbung. Wichtig ist den Leiterinnen, dass die Ausstellungen generationenübergreifend Menschen ansprechen. Die intime Atmosphäre des Gewölbes mit seinen Kappendecken lädt zwischen den Büchern der Präsenzbibliothek und den liebevoll ausgewählten Exponaten der Ausstellung zum Forschen und Stöbern ein. Hier wird aber auch Kabarett und Satire live auf die halbrunde Bühne gebracht – und das in unmittelbarer Nähe zum Publikum. Die rote Bar, in der man sich durch Fotos von den ganz großen Namen des Kabaretts und der Satire – Kurt Tucholsky, Liesl Karlstadt oder Loriot – umgeben findet, ist der Ort für den „Apéro“. Es warten Musik, anregende Gespräche bei einem Drink und ein Rundgang durch die Ausstellung.
WTF
Deutsches Kabarettarchiv
Neue Universitätsstraße 2, 55116 Mainz
kabarett.de


