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Kultur

Bali unter Druck

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Ein touristischer Schmelztiegel ist mutmaßlich der perfekte Umschlagplatz für Viren. Bali, die Insel der Götter und der gottlose Coronavirus sehen das anders.

Made ist stinksauer. Er gehört zum Banjar, einer Art Bürgermeistereingreiftruppe. Sie passt auf, dass in der Nachbarschaft alles gut läuft. Die meisten Balinesen halten sich an die nicht vorgeschriebenen, aber sozial erwarteten Regeln. Selbst am Vorabend des wichtigsten hinduistischen Feiertags, dem Nyepi, verzichten die Einheimischen auf den vor allem bei Kindern sehr beliebten traditionellen Ogoh-Ogoh. Normalerweise versammeln sich die Nachbarn und in einer Art Straßenkarneval werden die Dämonen des endenden Jahres verscheucht.
Einige Bule, übersetzt am ehesten zwischen Bleichgesichter und Hellhäutige anzusiedeln, scheren sich nicht um irgendetwas. Sie veranstalten laute Partys, tragen keine Masken und schimpfen über die Dummheit der Balinesen. Die Stimmung droht einige Wochen von ausgesprochener Fremden- und Gastfreundlichkeit zu Ablehnung und Ausgrenzung zu kippen. Nachdem die meisten Störenfriede Bali verlassen haben, beruhigt sich das Klima wieder. Made muss nur noch ein bis zwei Mal wöchentlich ausrücken, um Partys aufzulösen oder Streitigkeiten an Einkaufsstätten zu schlichten.
Die Politik der Freiwilligkeit trägt auf Bali Früchte. Wenn alle mitmachen, davon ist Made überzeugt, bleiben die Coronazahlen so erstaunlich niedrig, wie sie es seit Wochen sind. Das ist auch dem Ausland aufgefallen. „Die testen einfach nicht“, schreiben viele renommierte internationale Zeitungen dieser Tage. In der Tat hören sich 50.000 Tests bei einer Bevölkerung von 260 Millionen Indonesiern verschwindend wenig an. Europäische Medien sprechen von einer statistisch verifizierten Zeitbombe, australische Offizielle kündigen Chaos und Horror an. In den Nachbarländern Malaysia und den Philippinen prägt Militär das Straßenbild.

Indonesier und insbesondere Balinesen leben ausgeprägten Pragmatismus. Sie beginnen früh, den Worten ihres demokratisch gewählten Präsidenten Jokowi zu folgen. Der appelliert an seine Landsleute, auf sich selber aufzupassen. Dafür verspricht er, dass er im Gegenzug, entgegen den Ratschlägen medizinischer Berater, gesetzliche Regelungen auf ein absolutes Mindestmaß reduziert.
Das freiwillige Maskentragen, nicht versammeln und vor dem Eintreten in Garküchen und in den Supermarkt Hände mit Desinfektionsmittel waschen wird in wenigen Tagen sozialer Standard. Das funktioniert wochenlang gut und zu den zwei toten Europäern gesellt sich kein weiterer Fall. Die Bewohner von Bali, Made und seine Leute vom Banjar und Behörden entwickeln den Ehrgeiz, alle Übertragungen innerhalb der Insel abzustellen.

So fröhlich können Verhaltensregeln aussehen.

Verhaltensänderungen sickern zwanglos ein.

Als die offiziell gemeldeten Fallzahlen ansteigen, beginnen erste Supermärkte, von sich aus früher zu schließen. Das passt sowieso, weil mittlerweile fast jeder Tourist abgereist oder ausgeflogen ist. Die Straßen und Unterkünfte leeren sich. Soziale Distanz entsteht aus dem jetzt überreichen Platzangebot wie von selber. Da fällt es nur wenig auf, dass die Strände nach und nach abgesperrt und geschlossen werden. Nachts ab 21 Uhr schließen fast alle Läden. Einige Garküchen und kleinen Tante-Emma-Läden bleiben länger offen, was von der Polizei geduldet wird. Hin und wieder kommt Made vorbei und erinnert Gäste und Kunden daran, im Laden doch bitte eine Maske zu tragen. Außer dem einen oder anderen Bule widerspricht ihm niemand.

Die Statistiken für Bali bewegen sich weiter im Schneckentempo. Während auf dem benachbarten Java die Zahlen explodieren, braucht Bali wochenlang, um wenigstens hundert Infizierte auszuweisen. Desinfektion rückt neben Masken mehr und mehr in den Mittelpunkt. Die einheimischen Schnapsbrennereien müssen auf behördliche Anweisung ihr Nationalreisbrandgetränk Arak als Rohstoff für die Herstellung desinfizierender Lösungen bereitstellen. Alle öffentlichen Plätze bieten klebrige Sprühmittel, größere Supermärkte auch Waschbecken, an. Die Häuser großer Handelsketten messen Fieber und haben Sprühtore an ihren Eingängen aufgestellt, die jeden Eintretenden feucht und vollständig einnebeln.

Lebensrisiken im Mehrfachpack

Indonesien ist ein tropisches Inselreich. Bali liegt am unteren Rand des Staatsgebiets ziemlich in der Mitte. Links Richtung Westen schließen sich Java und Sumatra an. Rechts Richtung Osten liegen, wie an einer Perlenkette aufgezogen, die Kleinen Sundainseln. Corona in Indonesien verbreitet sich zu achtzig Prozent auf Java. Auf der direkten westlichen Nachbarinsel von Bali liegt die Hauptstadt Jakarta. Dort hat sich das Epizentrum der Epidemie entwickelt. Achtzig Prozent aller erfassten Infizierten leben hier. Bali hat vor etwa zwei Wochen den Fährhafen für privaten Personenverkehr geschlossen. Jetzt, während des Ramadan, ist auch der Flugverkehr per Verordnung eingestellt. Das soll verhindern, dass die vielen auf Bali lebenden Moslems aus Java ihre traditionelle Heimreise antreten und den Virus verbreiten. Die obersten Religionswächter protestierten zuerst, fügten sich dann aber der vernünftigen Ansprache ihres Präsidenten.
Im Osten auf den Kleinen Sundainseln grassiert eine Denguefieberepidemie. Wochenlang übertrifft die Zahl der Sterbefälle die durch Corona. Die Zahl der Malariatoten, vor allem bei Balis östlichen Nachbarn und auf den nördlicheren Inseln, bleibt stabil. Als Dreingabe bricht dann immer mal wieder ein Vulkan aus. Die letzten Ausbrüche in von Corona betroffenen Gebieten datieren auf den 13. Februar, 3. März und 21. April.

It’s the economy, stupid

Die typisch balinesische Gelassenheit bleibt bestehen. Trotzdem steigt die Anspannung. Made sieht die Situation recht klar. Er und seine Gruppe vom Banjar sind jetzt mehr gefordert, sozialen Frieden zu erhalten. Sie zeigen sich häufiger auf den Straßen und patrouillieren in der Dunkelheit. Leider gibt es auch auf Bali Menschen, die Ausnahmesituationen gnadenlos ausnutzen. Diebstahl und Plünderungen entstehen nicht nur aus Hunger. Organisierte Banden, ähnlich wie in Europa, nutzen die geringere Polizeipräsenz durch anderweitige Beanspruchung aus.
Das Versiegen jeglicher Geldquellen stresst nicht nur die Ehrlichen. Auch Diebe haben kein Betätigungsfeld mehr in den touristischen Hotspots. So sickern sie dezentral auch in Gegenden ein, die bis jetzt vollkommen uninteressant für sie waren. Made rät zu aufmerksamerer Wachsamkeit, als es in „normalen“ Zeiten erforderlich ist. Grundstückstore sollten immer geschlossen gehalten und das Auto immer abgeschlossen werden. Das ist außerhalb der Touristenviertel außergewöhnlich, da hinduistische Balinesen an Karma glauben und daher aus intrinsischer Überzeugung nicht zu Diebstahl neigen. In Zeiten, in denen Abertausende ihren Job im touristischen Sektor verloren haben, wird dieser Glaube wahrscheinlich bei einigen auf eine harte Probe gestellt.
Es gibt kleine Staatshilfen (etwa dreißig Euro monatlich) für Arbeitslose aus dem formellen Wirtschaftssektor, der angemeldet ist und Steuern zahlt. Die knappe Hälfte aller arbeitenden Balinesen gehört dem informellen Sektor an. Das ist legal, existiert aber nicht als ökonomische Größe. Fahrer, Garküchenbetreiber, Souvenirverkäufer, Straßenhändler und viele andere bekommen nichts von niemandem.

WTF
Bali hat etwa 4,2 Millionen Einwohner,
92 % Hindus, 6 % Moslems,
alle anderen unter 1,5 %.
Touristische Ankünfte pro Jahr etwa fünf Millionen, davon ein Viertel Chinesen und 200.000 Deutsche.
80 % des BIP von Bali stammt aus dem
Tourismussektor.
Corona: 222 Infizierte, vier Todesfälle, 18.000 Schnelltests an Risikogruppen wie heimkehrenden Wanderarbeitern ausgeführt (Stand 01.05.20)
Einstellung des inländischen Flug- und Schiffsverkehrs zu Ramadan (bis 01.06.20)

BALI HILFSAKTION
Tüte für Bali
Der Autor hat eine kleine private Hilfsaktion gestartet. Näheres zur Tüte für Bali und Spenden ab vier Euro unter essen-auf-spanisch.de

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