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Allein gelassen

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Acht Uhr morgens, erste Schulstunde, Heft und Stifte liegen auf dem Tisch – zu Hause. Wie erleben Schülerinnen und Schüler die Pandemie?

von Shayan Julien Mirmoayedi

Die Verantwortlichen verstehen nicht, wie sehr uns die Situation belastet.“ Dieser Satz fiel im März bei der Vollversammlung des Wiesbadener Stadtschüler*innenrates (SSR) und regt mehr als nur zum Nachdenken an. Er beschreibt, wie sich viele Schüler in der Pandemie fühlen: Allein gelassen. Die Isolation hat Jugendliche in besonderem Maße belastet – psychisch, schulisch und sozial. Schülervertretungen kritisieren, dass nicht genug für ihr Wohlergehen getan wird und wurde.

Die psychischen Folgen
Laut der Bertelsmann-Stiftung fühlen sich in Pandemiezeiten über 60 Prozent der Jugendlichen einsam, 64 Prozent stimmen der Frage, ob sie psychisch belastet sind, voll oder teilweise zu. Die Nummer gegen Kummer in Wiesbaden verzeichnete einen Nachfrageanstieg und auch die COPSY-Studie des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf stellt eine höhere psychische Belastung fest.
„Die Bekanntheit und die Kapazitäten von Hilfestellen wie der Schulpsychologie müssen gesteigert werden“, erklärt Jan-Philipp Groth, stellvertretender Stadtschulsprecher in Wiesbaden. „Genauso wichtig ist Präventionsarbeit. Man muss in der Schule lernen, wie man sich um seine Psyche kümmern kann“, führt Groth aus. Das Wegfallen von Vereinssport, Veranstaltungen und vieler anderer Freizeitaktivitäten sowie das Homeschooling haben viele Jugendliche hart getroffen. Kontakt zu Gleichaltrigen, der in der Pandemie kaum möglich war, ist im Schulalter für die persönliche Entwicklung von besonderer Bedeutung. Digitale Formate zum Austausch waren in der Regel nicht vorhanden oder wurden nicht ausreichend wahrgenommen – in jedem Fall konnten sie echte Begegnung nicht ersetzen.

Bildung
Von zu Hause aus zu lernen, klappt nicht bei allen gut. Ob psychische Belastung, familiäre Situation oder digitale Ausstattung: Der Lernerfolg hing im Distanzunterricht von verschiedenen Faktoren ab. Das Arbeitspensum fiel am Anfang der Pandemie häufig höher aus als zuvor, da die Lernenden eine Flut an Aufgaben erreichte, die sonst nicht in den regulären Schulalltag gepasst hätte. Außerdem führte das Homeschooling bei manchen Schülerinnen und Schülern zu Lernrückständen, verschiedene milliardenschwere Programme von Bund und Ländern sollen helfen. Wichtig sei, dass die Maßnahmen an den Schulen umgesetzt werden und die Schülerschaft tatsächlich erreichen, so der SSR. Bei einigen ist es aber wohl zu spät: Nach Schätzungen der Landesjugendämter könnte sich die Anzahl der Schulabbrecher in Folge der Pandemie deutschlandweit verdoppeln.

Problemkinder der Schule
Die Pandemie hat nicht nur neue Probleme geschaffen, sondern auch alte verschärft und mancherorts gezeigt, was möglich ist. Nehmen wir die Digitalisierung. Unterricht per Videokonferenz hätte sich an deutschen Schulen vor der Pandemie kaum jemand vorstellen können. Allerdings gab es weniger davon als gewünscht. Schülerinnen und Schüler kritisieren, dass zu häufig nur Aufgaben verteilt wurden, statt zu unterrichten. Außerdem hat Corona gezeigt, welcher Weg bei der Digitalisierung der Schulen noch vor uns liegt und die Notwendigkeit von mehr Investitionen offengelegt. Auch das Pandemie-Management an Schulen lässt nach Meinung vieler Schülerinnen und Schüler zu wünschen übrig. Maskenpflicht, Tests oder Luftfilteranlagen: Alles kam zu spät, zu langsam oder gar nicht. „Solche Maßnahmen hätten früher getroffen werden müssen, mehr Präsenzunterricht ermöglichen können und somit die Kollateralschäden verringert“, resümiert Mita Hollingshaus, stellvertretende Wiesbadener Stadtschulsprecherin.

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