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Tiere

Der König der Auen

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Was kreucht und fleucht im STUZ-Gebiet? Wilde Tiere vor der Haustür, Teil 10: Der Schwarzmilan

von Konstantin Mahlow

Wie jedes Jahr lösen die ersten warmen Tage eine regelrechte Massenwanderung an die Rheinufer aus. Am Ende eines Winters, in dem der Mensch dank Corona zu einer beispiellosen Einsamkeit gezwungen war, vielleicht heftiger als sonst. Die meisten bekommen dabei nicht mit, dass über ihren Köpfen ein Raubvogel kreist. Wie auch – der Schwarzmilan bewegt sich lautlos durch die Lüfte. Mit grazilen Bewegungen und eleganten Manövern dreht er seine Kreise, nähert sich manchmal auf wenige Meter an, bis er sich wieder vom Wind davon treiben lässt. Zweifellos zählen seine Flugkünste zu den spektakulärsten am sommerlichen Rhein. Und auch wenn er immer wieder direkt am Stadtufer auftaucht, ist er doch in erster Linie der König der Auen.

Auf der Aue
Ob Mombacher Rheinufer, Rettbergs- und Petersaue, Ginsheimer Altrhein oder Bleiaue – wie auf einem Flickenteppich verteilen sich die letzten Auenlandschaften im STUZ-Gebiet. Sie sind die Überbleibsel eines einst riesigen Ökosystems aus Sumpfwiesen und Auenwäldern, das als „Amazonas am Oberrhein“ bekannt war. Heute bilden sie eine Kette aus Naturschutzgebieten und sind Teil des europäischen Netzwerks Natura 2000. Einer der Gründe dafür ist das bundesweit bedeutende Vorkommen des Schwarzmilans, der hier sowohl brütet als auch rastet. Der mittelgroße Greifvogel hält sich von Mitte März bis Ende August am Rhein auf und verbringt den Winter südlich der Sahara. Jedes Jahr wird seine Ankunft von regionalen Ornithologen sehnsüchtig erwartet. Besonders die Wiesbadener Rettbergsaue fungiert dabei als absoluter Hotspot: Bis zum Ende des Sommers versammeln sich hier täglich bis zu 300 Milane an einem der wichtigsten Schlaf- und Brutplätze Mitteleuropas und sorgen für tolle Schnappschüsse.

Auf der Lauer
Besonders in den Morgenstunden kann man an der Ostspitze der Rettbergsaue etwa Schwarzmilane bei der Nahrungssuche über der offenen Wasserfläche beobachten. Die Natur hat den vermeintlichen Jäger mit zwei hilfreichen Eigenschaften ausgestattet: Zum einen ist er Nahrungsopportunist und frisst, was es zu fressen gibt. Zum anderen ist er ein ausgeprägter Suchflugjäger. Am Rhein stehen lebende und zu einem vermutlich größeren Teil tote Fische und Aas ganz weit oben auf der Speisekarte, seltener kleine Vögel und Säugetiere. Was also aus der Ferne wie eine atemberaubende Jagd aussieht, ist oft nur das weniger beeindruckende Aufsammeln einer verendeten Brachse oder eines anderen Rheinfischs. Auch die beiden Mülldeponien in der Region sind neben dem reichen Nahrungsangebot der Auen einer der Hauptgründe, warum sich so viele Milane bei uns wohl fühlen. Ein erfolgreicher Jäger muss hin und wieder auch mal den einfachen Weg nehmen.

Konkurrenz am Rheinufer
Und einfach hat es der Schwarzmilan, obwohl er der dominante Raubvogel am Inselrhein ist, wahrlich nicht immer. Sobald er sich zu weit von seinen Inseln und zu sehr in Nähe der städtischen Rheinwiesen in Mainz und Kastel bewegt, dauert es meistens nicht lange, bis er den Zorn der Rabenkrähen auf sich zieht. Sie penetrieren den Milan mit aggressiven Scheinangriffen so lange, bis der entnervt den Heimflug antritt. Nur im umgebauten Wohnquartier im Zollhafen hat er bis jetzt seine Ruhe, da sich hier noch keine Krähen eingenistet haben. Ob liegengebliebenes Grillfleisch oder die zahlreichen Jungfische im Hafenbecken der Grund sind – mindestens ein Exemplar sucht regelmäßig das Gelände ab und sorgt dabei für verrenkte Hälse. Ein Raubvogel direkt über der Wasserfläche ist hierzulande eigentlich immer ein Milan, der größere und hellere Fischadler ist im STUZ-Gebiet nur eine Ausnahmeerscheinung.

Dem Sommer folgend
Schwarzmilane sind klassische Sommervögel und verschwinden, sobald der Herbst auch nur in Nuancen spürbar wird. Genau wie bei ihrer Ankunft im März ist die Südostspitze der Petersaue für ihren Rückzug ein wichtiger Sammelpunkt. Den ganzen Sommer lang sind über dem uralten Baumbestand brütende und rastende Milane zu sehen, nur wenige hundert Meter von lauten Musikboxen und Flunkyball-Spielen entfernt. Doch kurz vor dem Zug kann man mit etwas Glück Zeuge eines seltenen Naturschauspiels werden: Über hundert Milane versammeln sich zwischen der Theodor-Heuss-Brücke und der Insel und kreisen beinahe meditativ um ihre eigene Achse. Dann ziehen sie zum hessischen Kühlkopf und schließlich weiter Richtung Afrika, bis sie im nächsten Jahr wieder sehnsüchtig erwartet werden.

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