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Gesellschaft

Die Regie in die Hand nehmen

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In unserem täglichen Medienkonsum ist uns meist nicht bewusst, wer die Menschen hinter den Kameras und Mikrofonen sind. Bei einem genaueren Blick fällt auf, dass Frauen hier in vielen Bereichen unterrepräsentiert sind.

von Myriam Neureuther

Es ist Halbzeit für 2022 und die Zahnseide, die ich dieses Jahr wirklich benutzen wollte, liegt spätestens seit Februar vergessen im Schrank. Aber ein Neujahrsvorsatz, von dem mir ein Freund erzählt hat, hat mich langfristig zum Nachdenken gebracht. Sein Vorsatz war, dieses Jahr nur Medien von Frauen zu konsumieren – Bücher von Autorinnen, Filme mit weiblicher Regie, Podcasts von Frauen. Mein Vorsatz, diesen Vorsatz auch zu testen und meinen eigenen Medienkonsum zu reflektieren, brachte mich schnell zu einigen Erkenntnissen. Erstens: Ohne es zu bemerken, konsumiere ich zu einem Großteil Medien von Männern.

Zweitens: Man muss teilweise erschreckend lange suchen, um Medien mit Frauen in Schlüsselpositionen zu finden. Besonders schnell fällt mir das bei Unterhaltungspodcasts auf. Die gibt es ja eigentlich wie gemischtes Hack beim Metzger oder Filterkaffee in WG-Küchen während der täglichen Apokalypse zwischen Onlineseminar und Präsenzvorlesung. Aber die bekanntesten Podcasts bestehen in der Regel aus Männern, die mit anderen Männern über Politik, die Welt und sich selbst sprechen. „In der Comedypreis Kategorie Podcast sind mehr Thomas Schmidts nominiert als Frauen [null]“, wie die Autorin Giulia Becker bereits 2020 twitterte.

Der Pulitzerpreis für Romane wurde knapp halb so oft an Frauen wie an Männer vergeben. Der Oscar für die beste Regie ging in seiner 93-jährigen Geschichte drei Mal an Frauen. Dass 2020 sogar zwei Frauen für diesen Titel nominiert waren, war fast schon eine kleine Sensation. Manch eine:r argumentiert gerne, dass sich eben das beste Buch, der beste Film, die beste Regie durchsetzt.

Doch betrachtet man exemplarisch den Bereich Regie genauer, zeigt sich: Es gibt viel weniger Filme, in denen Frauen überhaupt Regie führen. Die Liste der Kino-Neustarts für dieses Jahr offenbart: Von 281 Filmen hatten 72 eine weibliche Regie. Die Studie „Gender und Film“ von der FFA Filmförderungsanstalt zeigte 2017 in der deutschen Filmlandschaft ähnliche Verhältnisse auf. Als Gründe nennt die Studie unter anderem, dass die risikoscheue Filmbranche dazu neigt, das Altbewährte zu reproduzieren. Aber auch, dass gewisse Berufsbilder eher männlich konnotiert sind und branchenspezifische Erfolgsfaktoren Männern stärker zugeschrieben werden. Doch etwas scheint sich zu bewegen: Ende Mai 2022 veröffentlichte der Spiegel einen Bericht, laut dem der Anteil weiblicher Regie bei ARD und ZDF 2020 bei fast 29% lag, während es 2010 nur 11% waren. Streaminganbieter hinken mit 25% weiblicher Regie noch hinterher.

Es muss noch immer viel passieren hinsichtlich Diversität im Medienangebot und wir können direkt anfangen, indem wir unseren eigenen Medienkonsum bewusst diverser gestalten. Um dieses Jahr mehr Neuerscheinungen von Frauen zu konsumieren, hier ein paar Empfehlungen: Im September kommt der Psycho- Thriller „Don`t Worry Darling“ von der Regisseurin Olivia Wilde in die Kinos und der Trailer sieht fantastisch aus. Die vierte Staffel der charmanten Serie „The Marvelous Mrs. Maisel“ von Amy Sherman-Palladino ist auf Amazon Prime zu sehen. Seit März gibt es auf Netflix das Comedy-Special „Look At You” von Taylor Tomlinson, das wir seither circa einmal pro Woche anschauen. Das neue Buch „Wo der Wolf lauert“ von Autorin Ayelet Gundar-Goshen ist sehr zu empfehlen. Tolle Podcasts wie „Gute Deutsche“, „Busenfreundin“ oder „Herrengedeck“ wurden leider abgesetzt, die alten Folgen gibt es aber noch auf Spotify. Beispielsweise von „Wissen Weekly“ oder „Unter Dry“ könnt ihr regelmäßig neue Folgen hören.

Die ganze Problematik betrifft selbstverständlich nicht nur Geschlecht und Gender. Auch im Hinblick auf Alter, Aussehen, Nationalität, sexuelle Orientierung, Beeinträchtigungen und soziale Herkunft muss noch viel passieren. Es braucht Diversität bei den Medienschaffenden – auch damit die Inhalte immer diverser werden und unsere unterschiedlichen und gemeinsamen Welten realitätsnäher abbilden. Das kann ja ein Mittjahrsvorsatz werden: Nicht nur auf die bekannten Medien setzen, an die wir uns gewöhnt haben, sondern bewusst den eigenen Medienkonsum hinterfragen und diverser gestalten. Mit gesunder Ernährung und mehr Joggen gehen können wir dann entspannt 2023 anfangen.

Illustration: Leon Scheich

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