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Was kreucht und fleucht im STUZ-Gebiet? Wilde Tiere vor der Haustür, Teil 29: Die Amsel

von Konstantin Mahlow

Stelle dir folgendes Szenario vor: Du sitzt entspannt im Garten, schlürfst deine Limo, lässt die Welt die Welt sein und plötzlich – klingelt das Handy. Immer und immer wieder derselbe, nervtötende SMS-Ton, wie ihn die halbe Menschheit benutzt. Ein Blick auf den vermeintlichen Übeltäter zeigt allerdings nichts außer schwarzer Leere, sprich: Das Handy ist aus. Die Ursache sitzt viel mehr ein paar Meter weiter oben auf einen Ast und studiert gerade frische Melodien ein, die später einmal auf die Damenwelt losgelassen werden sollen. Amselmännchen sind ständig auf der Suche nach dem gewissen Etwas, der vielleicht entscheidenden Zutat für den nächsten Sommerhit. Ob die Inspiration dabei von quietschenden Fahrradbremsen, vorbeifahrenden Sirenen oder eben den Alarmtönen von Handys stammt, spielt für die tierischen Komponisten keine Rolle.

Der britische Vogelschutzbund teilte einer offenbar zunehmend gestressten Bevölkerung bereits 2001 mit, dass man von nun an auch in freier Wildbahn nicht mehr von Zivilisationsgeräuschen verschont werden würde. Schuld daran sind eine Reihe von Singvögeln, die nicht nur einfach vor sich hin trällern, sondern auch ganz neue Gesänge komponieren. Allen voran die Amsel (Turdus Merula), eine der bekanntesten und häufigsten Vertreterinnen der heimischen Avifauna und längst in unseren Städten etabliert. Die bunte Blaumeise mag zwar hübscher anzusehen zu sein, doch können einen ihre vergleichsweise eintönigen Rufe schnell auf den Wecker gehen. Amselmännchen dagegen sind vielseitige Sänger, die ständig neue Töne einbauen. Ihr Klang kommt uns angenehm vor und stört selten. Dabei bedienen sie sich nicht nur an von Menschen gemachten Geräuschen, sondern vor allem auch an ihren Vätern, anderen Männchen und fremden Vogelarten. Mit ihren Künsten stecken sie ihre Reviere zu Artgenossen ab und locken im Frühjahr die Weibchen an.

Waren Amseln einst ausschließlich in Wäldern beheimatet, fliegen sie heute zahlreich durch Gärten, Parks und Friedhöfe. Der Balzgesang ist einer der ersten im Jahr und meist ab Anfang März zu hören, meist schon deutlich vor der Morgendämmerung. Jedes Kind kennt hierzulande den farblichen Unterschied zwischen den schwarz gefiederten Männchen mit ihrem auffällig gelben bis orangenen Schnabel und den eher unscheinbaren, dunkelbraunen Weibchen. Dank ihrer Häufigkeit gehören sie zusammen mit Tauben oft zu den ersten Vögeln, die ein junger Mensch in seiner Umgebung bewusst wahrnimmt. Später beobachten wir sie in der Nachbarschaft eher beiläufig dabei, wie sie auf der Wiese nach Regenwürmern suchen oder in einer Pfütze auf dem Gehweg ein schnelles Bad nehmen – sie gehören einfach dazu. In Deutschland ist die Amsel mit knapp neun Millionen Paaren der häufigste Brutvogel.

Im Spätwinter suchen sich die Weibchen einen Partner mit geeignetem Revier, die Balz beginnt üblicherweise im März. Ihre Nester bauen sie meistens in Bäumen, Sträuchern oder mit Kletterpflanzen wie Efeu bewachsenen Wänden, die sie in den Städten häufig finden. Je verborgener das Nest, desto höher der Bruterfolg. Obwohl die Einnahme und Verteidigung eines Reviers eine immense Bedeutung für die Überzeugungskraft gegenüber den Damen besitzt und die Weibchen hier auch brüten, pflegen Amseln die Angewohnheit, ihre Nächte in außerhalb liegenden Schlafplätzen zu verbringen. Diese liegen meistens an ruhigeren Orten und können sich bis zu vier Kilometer entfernt befinden. Nur während der Brutzeit bleiben die Weibchen im Nest und die Männchen im Revier. Gefressen wird beinahe alles, was im Vorgarten an tierischer Nahrung zur Verfügung steht, besonders gerne Würmer und Käfer. Sind die knapp, tun es auch Beeren oder Früchte.

Amseln klingen nicht nur schön, sie machen sich auch ein schönes Leben. Bekannt ist ihre Vorliebe für Bäder kurz vor dem Flug zum Schlafplatz, der viele Menschen mit der Instandsetzung einer Vogelwanne in ihrem Garten entgegenkommen. Weniger populär ist ihre selbstmörderische Neigung zu Sonnenbädern, überwiegend im Hochsommer und auch noch am Nachmittag. Gelegentlich liegen die Vögel dabei so lange auf den Boden, bis sie Anzeichen von Hitzestress zeigen. Warum, ist völlig unklar. Uns soll es recht sein – solange wir am Morgen zum Kaffee wieder eine neue Komposition genießen dürfen.

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