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Gesellschaft

Nicht auch noch Aliens

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Das US-amerikanische Pentagon warnt, die Erde könnte gegebenenfalls von Außerirdischen ausgespäht werden. Interessieren tut das allerdings niemanden.

von Konstantin Mahlow

„Look at that thing, dude!“, brüllt der Pilot in sein Mikrophon: „My Gosh! Look at that thing! It’s rotating!“ Das Ding, das den US-Military- Angehörigen so ins Staunen versetzt, ist eines von hunderten nicht identifizierbaren Flugobjekten – genauer: „Luftphänomenen“ – die das Pentagon momentan beschäftigen. Der Flugkörper, der 2020 gefilmt wurde, bewegt sich mit hoher Geschwindigkeit gegen den Wind und dreht sich dabei langsam um die eigene Achse. Experten werden dieses Verhalten später als weder natürlich noch mit menschlicher Technik durchführbar beschreiben. Klammert man diese beiden Optionen aus, bleibt eigentlich nur eine Lösung. Aber will man so weit überhaupt denken?

Eher nicht. Sollte der Pilot in dem Fall tatsächlich Außerirdische hinter dem mysteriösen Flugobjekt vermutet haben, ist ihm hoch anzurechnen, die Kamera voll drauf gehalten zu haben. Viele seiner Kollegen melden aus Angst vor Stigmatisierung solche Sichtungen womöglich erst gar nicht. Und doch sind mindestens 140 dokumentierte Beobachtungen von UFOs mit „ungewöhnlichen Flugcharakteristika“ in den letzten zwei Jahrzehnten im Pentagon eingegangen und haben das US-Amerikanische Verteidigungsministerium sogar dazu bewogen, ein Büro für deren Nachverfolgung einzurichten. Das „All-domain Anomaly Resolution Office“ (AARO) beschäftigt sich mit allerhand unerklärlichen Phänomenen, die unter Wasser, in der Atmosphäre und außerhalb davon lauern. Es geht nicht nur um die Frage, ob außerirdische Flugobjekte existieren, sondern explizit auch darum, welches Risiko ihre Existenz für unsere Sicherheit bedeuten würde. Regelmäßig werden nun neue Berichte zum Stand der Lage veröffentlicht.

Zu den untersuchten Objekten zählt auch „Oumuamua“, das 2017 entdeckt wurde. Es unterscheidet sich in Form und Eigenschaften so sehr von allen bekannten Asteroiden, dass Wissenschaftler mittlerweile von einem Ursprung außerhalb unseres Sonnensystems ausgehen. Damit wäre es das erste nachgewiesene interstellare Objekt überhaupt, das von der Menschheit wahrgenommen wurde. Etwa aus der selben Himmelrichtung könnten auch die nicht identifizierbaren Luftphänomene stammen, denen das Pentagon so viel Aufmerksamkeit schenkt. Der Leiter des AARO, Sean Kirkpatrick (das „Kirk“ im Name ist wahrscheinlich Zufall) und der Harvard-Forscher Avi Loeb haben nun im März dieses Jahres eine neue Studie veröffentlicht, die in Prä-Internet-Zeiten wohl für eine Massenpanik gereicht hätte: Darin stellen sie das Szenario auf, dass längst ein Mutterschiff außerirdischen Lebens die Erde ins Visier genommen hat und dabei lauter kleiner Sonden oder Proben zu uns schickt – solche wie Oumuamua. Ihr Aufgabe könnte die Ausspähung unserer Zivilisation sein. Handfeste Beweise gibt es dafür aber noch keine – im Falle von Oumuamua geht man mittlerweile von einem natürlichen Ursprung aus.

Alien-Mutterschiffe, die uns mit Sonden heimlich observieren? Das klingt eher nach der nächsten verschwurbelten Geschichte des skurrilen Onkels, der beim Familienessen sonst von der flachen Erde oder dem Deep State erzählt und dafür höchstens mitleidig belächelt wird. Nur dass es diesmal nicht der Onkel, sondern das amerikanische Pentagon ist. Die Reaktion darauf ist derweil beinahe dieselbe: Skepsis bis Kopfschütteln. Die deutschen Medien trauen sich nur vorsichtig an die vermeintliche Sensationsnachricht ran und dann auch nur Konsorten wie Focus, T-Online und MOPO. Sucht man in der US-amerikanischen Presse, trifft man als erstes auf die Military Times und Fox News. Kein Wunder, dass die meisten dann schon wieder abschalten. Das Interesse ist, freundlich formuliert, verhalten. Nach Corona und während dem Ukraine-Krieg scheint der allgemeine Tenor vielmehr zu sein: Aliens? Sorry, passt gerade nicht so.

Eventuell offenbart sich hier ja ein größeres Problem über den Umgang mit Phänomenen, die erst einmal nicht zu erklären sind. Ist es in erster Linie nicht etwas Belastendes, sollte man abends beim Gassigehen Zeuge einer Raumschiff- Landung werden? Oder anders gefragt: Würdest du jemandem davon erzählen? Die Wahrscheinlichkeit, für verrückt bis unberechenbar gehalten zu werden, dürfte deutlich höher liegen als die Chance, auf Verständnis zu stoßen. Das Risiko, ausgegrenzt zu werden wäre vielen wohl einfach zu hoch. Keiner weiß, wie hoch die Dunkelziffer derer ist, die aus Angst die Klappe halten. Und das muss nun auch eine offizielle Stelle des reichsten und mit der modernsten Technik der Welt ausgestatteten Landes erfahren. Aber vielleicht klappt’s mit der Aufmerksamkeit ja im nächsten Jahr, sollte die Menschheit bis dahin wieder einen freien Kopf für Aliens haben.

Foto: Miriam Espacio

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