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Mainz

„Vor allem lebenswert bleiben“

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Städte stehen vor einigen Herausforderungen. Oft fehlen Grünflächen, die Luftqualität ist schlecht und Hitzeperioden sind besonders fatal. Professor Michael Bruse erklärt im STUZ-Interview, was bei der nachhaltigen Stadtplanung wichtig ist und wie die Simulations-Software ENVI-met funktioniert.

von Eva Schott und Hannah Büttgen

STUZ: Herr Bruse, wie funktioniert ENVI-met?
Bruse: Konkret simulieren wir mit unserem Klimamodell ENVI-met, wie sich die Gestaltung unserer Umwelt auf das Mikroklima auswirkt. Das Mikroklima ist das Klima, das wir direkt wahrnehmen, wenn wir uns durch unsere Umwelt bewegen, also die Kombination von Sonne, Schatten, Wind, Lufttemperatur et cetera. ENVImet funktioniert wie die größer maßstäblichen Modelle, die bei der Wettervorhersage oder bei der Prognose des globalen Klimawandels zum Einsatz kommen. Der Hauptanwendungsbereich davon liegt in der Analyse der dicht bebauten Städte, aber nicht nur.
ENVI-met ist ein bisschen wie Lego: es gibt eine ganze Reihe von verschiedenen Analysemodulen, aber was der Anwender daraus baut, ist erstmal offen.

Was machen Stadtplaner momentan in Bezug auf Nachhaltigkeit falsch?
Natürlich gibt es in jeder Stadt Entwicklungsbeispiele, wo man sagt: das war keine gute Idee. Allerdings urteilen wir das aus unserer heutigen Perspektive von 2023 und viele Entscheidungen und Pläne sind Jahre und Jahrzehnte alt. Eine Planung mag also zum Zeitpunkt ihres Entstehens sinnvoll gewesen sein, wurde dann aber von der Zeit überholt. Ein Fehler wäre es, an einmal gefallenen Beschlüssen und Planungen festzuhalten, weil man sie einmal so getroffen hat und man sich nicht traut, sie zu ändern, oder die Rechtsprechung einen daran hindert, sie zu ändern.

Wie aber kann man nachhaltig agieren?
Stadtplanung ist ein Prozess mit einem Zeithorizont von mindestens zehn Jahren. Das ist ein langer Zeitraum, in der sich auch gesellschaftliche, soziale und wirtschaftliche Parameter grundsätzlich ändern können. Diese Veränderungen geschehen zunehmend disruptiv, also schnell, wenig vorhersagbar und vermutete Sicherheiten in Frage stellend. Die meisten Effekte kennt man dabei gar nicht: Geht die Einkaufsstraße wirklich den Bach hinunter, wenn ich die Autos verbanne und die Parkplätze in Grünflächen umwandele? Oder ist das Gegenteil der Fall? Man wird es nur durch Ausprobieren herausfinden und auch dann braucht es Jahre, bis so ein System einen stabilen Zustand erreicht hat.

Wenn eine gewisse Flexibilität notwendig ist, warum bleiben wir so starr und wie ginge es besser?
Leider sind die Wahlperioden der Politiker wesentlich kürzer als der Planungszeitraum. Ja, ein genereller Fehler ist in diesem Zusammenhang sicher auch, auf zu viele Menschen zu hören. Es ist falsch, die Bürger nicht mitzunehmen und nicht zu erklären, was man macht. Es ist aber genauso falsch, auf jeden kleinen Einwand reagieren zu müssen, vor allem wenn er nicht durch qualifizierte Meinungen fundiert ist.

Wie können Städte nachhaltiger werden?
Nachhaltig kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft und bedeutet, dass man nicht mehr Holz entnehmen sollte als nachwachsen kann. So gesehen kann eine Stadt wahrscheinlich nie nachhaltig sein, weil sie so viele Menschen beherbergt und so viele Funktionen auch für das Umland zur Verfügung stellt, so dass die Bilanz wohl immer negativ sein wird. Aber das ist auch in Ordnung, wenn man die Bilanz etwas größer sieht und dafür das Umland funktionell entlastet. Für mich bedeutet „nachhaltig“ für Städte, unter der obigen Annahme, dass eine Stadt vor allem lebenswert bleiben muss, vor allem vor dem Hintergrund aller Herausforderungen, die der Klimawandel und andere globale Veränderungen mit sich bringen. Eine Stadt, die aus der Zeit fällt, weil sie Dinge in einer Form anbietet, die nicht mehr nachgefragt werden, wird nie nachhaltig sein.

Was könnte die Stadt Mainz besser machen, um die Stadt nachhaltiger zu gestalten?
Mainz steht vor dem gleichen Katalog von Herausforderungen wie alle Städte in Deutschland. Manche Faktoren sind in Mainz weniger kritisch, wie die Aufenthaltsfunktion durch die Einbettung in ein attraktives Umland, andere womöglich kritischer, wie die ohnehin vergleichbar wenigen Niederschlagstage. Eine nachhaltige Stadt wird nicht ohne ernstgemeinte Projekte auskommen. Da sind Städte wie London, Paris oder Barcelona einfach weiter, die verstanden haben, dass viele Nachhaltigkeitskonzepte nur ab einer gewissen Größe funktionieren. Es bringt nichts, halbherzig 500 Meter Fahrradstraße auszuweisen, wenn es davor und danach im normalen Verkehr weitergeht.
Eine nachhaltige Stadt ist nur dann nachhaltig, wenn sie funktioniert, und dazu muss eine kritische Größe bei den Maßnahmen erreicht werden.

Foto: Wolfgang Pehlemann via Wiki Commons


WTF
Michael Bruse ist Professor für Geoinformatik am Geographischen Institut der Uni Mainz. Er leitet die Environmental Modelling Group“, die sich mit der numerischen Simulation von kleinräumigen Umweltprozessen über die Software ENVI-met beschäftigt.

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