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Bild einer weiblichen Zauneidechse in einer Wiese

Was kreucht und fleucht im STUZ-Gebiet?
Wilde Tiere vor der Haustür, Teil 43: Mauer- und Zauneidechse

von Konstantin Mahlow

Acht Millionen Menschen ziehen in Deutschland jedes Jahr um. Das liegt zu einem großen Teil an veränderten Familiensituationen oder neuen Berufsmöglichkeiten, zum Teil aber auch an der ungeliebten Nachbarschaft. Ein paar wenige ereilt das Schicksal, ihre Heimat wegen Infrastrukturprojekten oder wirtschaftlichen Baumaßnahmen unfreiwillig verlassen zu müssen, wie etwa im Rahmen des Kohlebergbaus. Deutschland ist aber auch bei einer anderen Art des zwanghaften Umzugs ganz weit vorne im internationalen Vergleich: der berüchtigten Umsiedlung von Eidechsen.

Spätestens seit Stuttgart 21 fließt bei Architekten und Bauleitern der Angstschweiß, wenn auf dem geplanten Gelände eine Eidechsenpopulation entdeckt wurde. Denn die heimischen Arten sind wie alle Reptilien und Amphibien in Deutschland dermaßen streng geschützt, dass die Realisierung des Bauprojekts nur noch durch die Einrichtung eines neuen Eidechsenbiotops, meistens auf einer renaturierten Fläche, gewährleistet ist. Dann kommen Spezialisten, die die Eidechsen mühsam einfangen und in ihr neues Zuhause aussetzten. Das klappt mal schlechter und mal besser, kostet in jedem Fall aber gutes Geld. Im STUZ-Gebiet wurden zuletzt 2019 in Klein-Winternheim erfolgreich Eidechsen von einem Neubaugebiet auf eine renaturierte Wiesenfläche umgesiedelt, auf der noch extra Steinhaufen und Sonnenplätze eingerichtet wurden – mit großem Erfolg: Konnte man auf der Baufläche gerade mal 17 Exemplare einfangen, zählten Biologen ein paar Jahre später im neuen Biotop schon über 60 Tiere.

Überhaupt sind Eidechsen nicht so wählerisch mit ihrer Habitatwahl, wie ihr strenger Schutzstatus suggeriert. Im STUZ-Gebiet kommen hauptsächlich zwei Arten vor: Die Zauneidechse (Lacerta agilis), um die es sich auch in Klein-Winternheim handelt, und die deutlich bekanntere Mauereidechse (Podarcis muralis). Sie sind noch am ehesten durch ihre Rückenfärbung zu unterscheiden, die bei den Zauneidechsen meistens grünlicher ausfällt. Insgesamt variieren aber die Farbmuster beider Arten, was eine zielgenaue Bestimmung ohne Nachschlagewerk für Laien schwierig macht. Beide mögen locker bewachsenes, trockenes Land, sogenannte Magerbiotope. Besonders Bahndämme in Kombination mit Vegetationsflächen haben sich hierzulande als klassische Eidechsenhabitate gemausert und dienen wohl auch als Verbreitungsrouten, die die Eidechsen immer häufiger nutzen.

Mauereidechsen scheuen die Nähe zum Menschen nicht und kommen ganz im Gegenteil sogar bevorzugt auf urbanen Flächen vor. In den letzten Jahrzehnten sind sie absichtlich und unabsichtlich in etliche Städte in Westdeutschland eingeschleppt worden, nicht selten sogar als blinde Passagiere auf Güterzügen. Im STUZ-Gebiet findet man sie zum Beispiel im Mainzer Zollhafen auf dem Gelände um die Eisenbahnbrücke herum oder am Kasteler Bahnhof. Ein eher natürlicher Lebensraum, wenn auch ebenso vom Menschen errichtet, ist der Zitadellengraben. Sie jagen alles, was sie überwältigen können, und sind vor allem an sonnigen Tagen einfach zu beobachten. Mauereidechsen noch ein wenig leichter als die insgesamt robuster und größer wirkenden Zauneidechsen, da sie sich öfter und schneller umher bewegen.

Wie viele Eidechsen es wo in Mainz gibt, ist allerdings nicht bekannt. Die letzten Erhebungen sind 18 Jahre alt, weshalb der BUND in diesem Jahr ein Kartierungsprojekt zur Bestandserfassung aller heimischen Reptilien- und Amphibienarten in Mainz durchführt. Auf ihrer Webseite suchen sie dafür Helfer und Helferinnen: Jede:r kann und soll seine Beobachtung melden, um ein möglichst vollständiges Bild der heimischen Fauna zu gewinnen. Während die Zahl der Zauneidechsen wohl leicht abgenommen hat, breitet sich laut BUND eine französische Unterart der Mauereidechse derzeit in Mainz stark aus. Noch ist es nicht soweit, aber dank des Klimawandels und dem hiesigen Zugverkehr vielleicht doch bald Realität: Überall umherhuschende Eidechsen auf den Bürgersteigen und Betonflächen der Stadt, wie man es aus dem Italienurlaub kennt. Keine unschöne Vorstellung.

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