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Tiere Umwelt

Hoffnung im Hamsterland

Was kreucht und fleucht im STUZ-Gebiet? Wilde Tiere vor der Haustür, Teil 53: Der Feldhamster

von Konstantin Mahlow

Lust auf einen Spaziergang in der rheinhessischen Landschaft? Klar! Im Frühling und im Frühsommer, wenn alles grünt, entsteht der Eindruck einer naturnahen Kulturlandschaft. Manch einer könnte sie überschwänglich die deutsche Toskana nennen. Spätestens aber im Winter, wenn die Reben ihre Blätter verlieren, offenbart sich ein Bild der Trostlosigkeit: Rebstockwüsten und bis auf den letzten Grashalm abgeräumte Zuckerrübenfelder, soweit das Auge reicht. Bis auf wenige, winzige Naturschutzgebiete und renaturierte Bachläufe – wichtige Prestigeprojekte in Dörfern – gibt es kaum Bäume, Büsche und Rückzugsmöglichkeiten für wilde Tiere. Der Landkreis Alzey-Worms ist sogar der baumärmste Landkreis in ganz Deutschland und Rheinhessen im nationalen Vergleich eine der sich am schnellsten erwärmenden und am stärksten mit Pestiziden belasteten Regionen. Die deutsche Toskana, in der man nachts Wölfe heulen und Stachelschweine schmatzen hören kann? Wohl kaum.

Flur und Feld waren mal, obwohl vom Menschen künstlich erschaffene Landschaften, absolute Hotspots der Artenvielfalt. Das änderte sich durch die EU-geförderte Intensivierung der Landwirtschaft, die sich zu einer der ökologischen Sünden der Neuzeit entwickelt hat. Unterholz und Buschstreifen zwischen den Feldern wurden entfernt, um noch den letzten schiefen Quadratmeter auf dem Grundstück zu subventioniertem Ackerland zu machen. Neben den fehlenden Flächen für Rückzug und Fortpflanzung gingen dadurch auch die meisten Nahrungsquellen für Tiere verloren. Zwar gibt es überall in Rheinhessen engagierte Menschen, die dieser Entwicklung durch Renaturierungen oder ökologische Landwirtschaft etwas entgegensetzen – noch aber können sie den Trend nicht stoppen. Schlendert man durch die Weinberge, entdeckt man neben zahlreichen Krähen am ehesten noch Rehe, mit Glück Fasane oder Feldhasen. Einen anderen Bewohner, der hier einst massenhaft vorkam, bekommt man dagegen kaum zu Gesicht: Den Feldhamster (Cricetus cricetus).

Wer an Hamster denkt, hat meist ein Gehege mit Rad vor Augen, vor dem faszinierte Kinder sitzen und die dickbäckigen Nager beim Tagesgeschäft bestaunen. Tatsächlich musste man vor nicht allzu langer Zeit nur wenige Meter durch ein beliebiges Feld laufen, um auf den Bau eines wilden Feldhamsters zu stoßen. Die erwachsenen Tiere gelten als die „buntesten Pelztiere“ Europas und sind mit einer Kopf-Rumpf-Länge von bis zu 35 Zentimetern mit keiner Feldmaus zu verwechseln. Sie bevorzugen den in Rheinhessen typischen Löß- und Lehmboden, in denen alle adulten Tiere ihre weit verzweigten, bis zu 2 Meter tiefen Bauten anlegen – inklusive Wohnkammer, Vorratskammer und mehreren Sackgassen, die als Toiletten genutzt werden. Sie sind Nahrungsopportunisten, die mit Kulturpflanzen wie Getreide, Klee, Kartoffeln und Rüben gut klarkommen. Hamster halten einen ausgiebigen Winterschlaf, den sie regelmäßig unterbrechen, um in Fresspausen an ihren zuvor angelegten Vorräten zu zehren – sofern sie genug gefunden haben.

War der Feldhamster einst eines der häufigsten Nagetiere Europas, gilt er seit 2020 offiziell als vom Aussterben bedroht. Neben der Bebauung und Zerschneidung der Lebensräume liegt das vor allem an den Folgen der modernen Landwirtschaft. Zum einen sorgen Monokulturen ohne Wildkräuter für eine einseitige und ungesunde Ernährung, die zu einer hohen Jungensterblichkeit führt. Zum anderen lassen effizientere Erntetechniken die Hamster oft ohne Deckung, Nahrung und mit leeren Vorratskammern zurück. Im Südwesten Deutschlands ist er mittlerweile bis auf wenige inselartige Populationen weitflächig verschwunden. Eine davon liegt mitten im STUZ-Gebiet bei Ebersheim. Rheinland-Pfalz ist eines von fünf Bundesländern, die sich zum Projekt „Feldhamsterland“ zusammengeschlossen haben und die die Bestände der Nagetiere und deren Entwicklung verfolgen und zu schützen versuchen. Die Stadt Mainz ist bereits länger im Hamsterschutz aktiv. In Ebersheim wird in Zusammenarbeit mit Landwirten, Jägern und Ämtern versucht, die Nager vor dem Aussterben zu bewahren, entweder durch das verstärkte Bejagen von Prädatoren wie Füchsen oder einer Hamster-freundlichen Bewirtschaftung der Felder.

Und tatsächlich: Von den im Frühjahr 2024 knapp über 300 gezählten Bauten in Rheinhessen – so viele gab es früher auf einem Feld – befanden sich fast alle im Mainzer Stadtteil. Außerhalb wurden nur einzelne Bauten gefunden. Dies führt zu der Annahme, dass in Ebersheim die vielleicht letzte stabile Hamsterpopulation in Rheinland-Pfalz existiert. Zum Vergleich: Im Osten Russlands leben mehr Sibirische Tiger als Feldhamster in Rheinhessen. Das Projekt „Feldhamsterland“ läuft aus und damit bleiben Schutzmaßnahmen wie in Ebersheim künftig die einzige Möglichkeit, aus dem Hamster nicht den Dodo Rheinessens werden zu lassen.

Foto: Charles J. Sharp, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

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