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Gesellschaft Mainz Stadt Umwelt

Frischer Wind, neue Wege

bgrün2, das Umwelt-Team HaMü und die Nachhaltigkeitsinitiative Bretzenheim (NiB) sind digital vernetzt und agieren auf Jahrzehnte. Beharrlich setzen sie sich, unterstützt von Partnern und der Nachbarschaft, für ein wirklich grünes Mainz ein.

von Ulrich Nilles

“bgrün²“ klingt nach einer mathematischen Formel, steht jedoch für das Motto der gleichnamigen Mainzer Umweltinitiative: „Mehr Blattfläche auf weniger Stadtfläche.“ Das gelingt dank Kletterpflanzen, die wenig Platz benötigen und große Wirkung entfalten. Die Initiative ist vor fünf Jahren entstanden. „Während des ersten Lockdowns hatte ich viel Zeit“, erzählt Initiator Reinhard Tiemann. Nachdem Mainz den Klimanotstand ausgerufen hatte, suchte er nach einer schnellen Lösung und fand sie an der Wand: „Das Haus meiner Großmutter ist von Wildem Wein umwachsen.“ Kletterpflanzen brauchen etwa die Bodenfläche einer Pizza und begrünen ganze Fassaden. Diese Effizienz nutzt bgrün². „Manche Menschen hassen Efeu und Schlingenknöterich“, sagt Tiemann, „aber zu Unrecht. In einer überhitzten Stadt sind sie ein Segen.“

Dank einer Starthilfe des Ortsbeirats Hartenberg-Münchfeld und des Preisgelds für den dritten Platz beim Bundespreis der Stiftung nebenan.de konnte die Gruppe Geräte und Materialien anschaffen. Im Herbst 2022 wird bgrün² durch die Berichterstattung des SWR über Nacht bekannt. „Wir sind mit dem Fahrrad durch den Martin-Luther-King-Park gepest, die Kamerafrau spurtete nebenher, und wir führten vor laufender Kamera Pflanzaktionen durch“, erinnert sich Tiemann schmunzelnd. Mittlerweile steigt die Mitgliederzahl und es kommen zahlreiche Anfragen von Bürger:innen, Schulen, Kitas, Vereinen und der Stadtverwaltung.

In Zusammenarbeit mit den Stadtwerken werden Trafo- und Gasverteilerhäuschen begrünt, die ehemals kahle Pergola am Romano-Guardini-Platz vor dem Unterhaus wurde bepflanzt, Gabionen am Gonsenheimer Willy-Brandt-Platz zeigen sich in Grün. Auch an der Saarstraße regt bgrün² die Bepflanzung der Spundwände an, um die Luftreinigung zu fördern. Bisher ohne Ergebnis. Auch mit dem Fußballbundesligisten Mainz 05 wird kooperiert. Die Zäune rund um die Trainingsplätze des Bruchwegstadions sind ideale Standorte für Kletterpflanzen. Im Herbst 2022 führte bgrün² dort erste Pflanzungen durch – mit Erfolg.

Der Hartenberg packt an
„Gemeinsam mit bgrün² und Menschen aus dem Umfeld des Vereins konnten wir circa 40 Rankpflanzen an den Zäunen des Bruchwegstadion setzen“, erläutert Lydia Beck, Gründerin des Umwelt-Teams HaMü. „Für die aufwändige Pflege spreche ich gelegentlich Väter während des Trainings ihrer Kinder an, ob sie anpacken können.“ Beck will zeigen, dass Naturschutz niedrigschwellig, kreativ und gemeinschaftlich sein kann. Binnen zwei Jahren wuchs das Team auf fast 50 Mitglieder und ist fester Bestandteil des Stadtteillebens.

Vor dem Gemeinschaftsraum des Quartiers „Wohnen am Hartenberg“ wurden von der Umweltgruppe Pflanzkübel aufgestellt, die Bienen Nahrung bieten. Hinzu kamen Nistkästen. „Bei den Kontrollen haben wir festgestellt, dass viele Kästen angenommen werden“, freut sich Teammitglied Janina Schreiber. Am Lungenberg unterstützt eine Gruppe die Pflege des großen naturnahen Gartens mit Wildtierauffangstation der Wildtierhilfe Rhein-Nahe. In der Alten Patrone befreien Engagierte mit dem dortigen Förderverein die Schotterfläche vom Herbstlaub, damit Blühpflanzen genug Licht bekommen. Im Martin-Luther-King-Park entfernen Freiwillige jährlich die nicht heimische Zackenschote, um das Wachstum anderer Pflanzen zu ermöglichen. Und auf dem angrenzenden Sport- und Freizeitgelände steckte das Team 400 vom Ortsbeirat gesponsorte Blumenzwiebeln in die Erde.

Unterstützer gesucht
Tatkräftige Hilfe kommt von Wohnungslosen, berufsbildenden Schüler:innen und Bewohner:innen der Flüchtlingsunterkunft. „Dort frage ich gezielt um Unterstützung an, denn die Arbeit ist körperlich oft sehr anstrengend“, weiß Beck. Zum Hochschulsport der Universität Mainz gibt es seit diesem Jahr einen ersten Kontakt. Ziel: Engagierte gewinnen, die die Zäune des Geländes gemeinsam mit bgrün² bepflanzen und über die ersten Jahre begleiten. Diese Aktion und das Projekt mit Mainz 05 sind Teile des städtischen Programms „Rankpflanzen für Vereine“. „Nächstes Jahr möchten wir loslegen“, ruft Beck aus.

Lokales Engagement für globale Ziele
Nachhaltigkeit im Stadtteil bedeutet in Mainz-Bretzenheim koordiniert handeln und gezielt etwas verändern. Seit 2018 engagiert sich die NiB, ein Netzwerk aus rund 70 Personen, für die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN auf Stadtteilebene. „Ausgangspunkt für uns war die Frage, was wir vor der eigenen Haustür erreichen können“, erinnert sich Andrea Oppacher-Friedrich. Claudia Siebner ergänzt: „Wir wollten von Anfang an ein übergeordnetes Thema für den Stadtteil etablieren.“ Ein Erfolgsfaktor ist die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern wie Foodsharing, MainzZero, dem Mitgliederladen SoNaKo und dem Second Hand Laden ZMO. „Wir arbeiten mit allen zusammen, die verantwortungsvoll unterwegs sind“, betont Oppacher-Friedrich.

Von Hightech bis zu Beerenhecken
Recycelte Laptops für Schüler:innen der IGS Bretzenheim, Vorträge zu den Themen Plastikvermeidung oder Insektensterben, die Einrichtung mehrere Trinkwasser-Refill-Stationen – die Initiative schafft Bewusstsein und verändert das Stadtbild. Am Gänsmarkt werden Baumscheiben entsiegelt und insektenfreundlich bepflanzt, im Wildgrabental entsteht ein Garten mit Beerenhecken. Igel und Gartenschläfer finden dort ein Zuhause. Ein öffentlicher Trinkbrunnen an der Bahnstraße ergänzt das Projekt Wasserquartier Bretzenheim. Seit 2022 wächst Am Ostergraben mit dem „Naturtreff“ ein offener Gemeinschaftsgarten auf städtischem Grundstück. Initiiert von Eva Müller-Shah und unterstützt vom Grün- und Umweltamt wird er gemeinschaftlich gepflegt. „Jeder darf für den eigenen Bedarf ernten und denkt dabei auch an die anderen“, sagt Müller-Shah. Andere Projekte gelingen ebenfalls durch Engagement. Für den Trinkwasserbrunnen gehen über zehntausend Euro an Spenden ein, für die Entsiegelung am Gänsmarkt via Crowdfunding mit der MVB ein höherer fünfstelliger Betrag. Auch Mainz 05 unterstützt finanziell. Für die Zukunft plant die NiB weitere Entsiegelungen und Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel. Dicke Bretter, die nur mit Ausdauer und Teamgeist gebohrt werden können. Zusammen mit weiteren tatkräftigen Gruppen haben die Initiativen im Frühjahr 2025 erstmals die „Woche der Artenvielfalt in Mainz“ organisiert. Für 2026 gilt es, die Woche mit noch mehr Ideenreichtum zu gestalten und das Umweltbewusstsein weiter zu stärken.

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