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Kultur

16 Tage, 14 Konzerte, 4 Länder, 7000 km

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Die Wiesbadener Punkband Shakers hat exklusiv für die STUZ ein Tourtagebuch geführt.

Warum man sich, so bedrohlich viel näher an der 30 als an der 20, noch stundenlang über die Autobahn quält, für 30 Minuten Katharsis, um danach auf einer Isomatte im Wohnzimmer wildfremder Leute zu schlafen, ist schwer zu erklären. Irgendwann haben wir damit angefangen und irgendwie können wir nicht aufhören. Irgendwo zwischendrin wurde aus verschiedenen alten Bands Shakers.

Das folgende Tourtagebuch soll einen Eindruck verschaffen von unserer bislang längsten Tour gemeinsam mit unseren Freunden Bayoné. Ohne Nightliner, dafür mit Sprinter. Es geht auch ohne den großen Apparat der Musikindustrie. DIY – Do-It-Yourself.

01.09. – Köln, Privat – Fahrtzeit 2 Stunden

Die Tour beginnt großartig – der von uns gemietete Sprinter springt schon beim Abholen nicht an und muss vom ADAC gestartet werden. Wir nehmen es mit Humor. Konzert ist schön, wenngleich nicht besonders gut besucht. Wir übernachten in der Location. Um 3 Uhr früh scheint plötzlich eine Taschenlampe durch die Dachluke. Sieht nach SEK aus, aber keine Braunkohle oder „Wurfgeschosse“ in Sicht. Komisch. Die Luke geht auf, es kommt ein dürrer Typ herunter, der irgendwas von „You’ve locked out the owner“ faselt und die Treppe runter zum Haupteingang stürmt. Ich renne hinterher. Als ich ihn einhole stehe ich plötzlich vor 2 Typen. Die Situation entschärft sich. Wir haben tatsächlich den Typen ausgesperrt, der hier wohnt. Sorry.

02.09. – Hamburg, Gängeviertel – Fahrtzeit 6 Stunden

Stau, nervig. Wir kommen zu spät. Das Konzert veranstaltet unser Ex-Gitarrist Dominik. Leider schlecht besucht. Ein bisschen frustrierend, Sonntag eben. In der Nacht essen wir Dominik und seiner Freundin den Kühlschrank leer. Selbst das Basilikum vom Balkon wird nicht verschont.

03.09. – Berlin, Kettensäge – Fahrtzeit 3,5 Stunden

Montag in Berlin, gute Idee. Wir spielen im Keller eines Wohnprojekts. Es kommen ein paar mehr Leute, die aber weniger spendabel sind, als die Leute in Hamburg oder Köln. Eigentlich wollten wir uns mit den Deutschland-Konzerten ein kleines Polster für die französische Autobahnmaut erspielen. Satz mit X.  In der Nacht eskaliert ein Streit über die Auslegung der Phrase „half ten“/„halb zehn“ soweit, dass die erste Morddrohung der Tour ausgesprochen wird. Am nächsten Morgen haben sich alle wieder lieb.

04.09. – Dresden, Riesa Efau – Fahrtzeit 3,5 Stunden

Conor landet und verschwindet mit dem Rest von Bayoné in einem Proberaum. Der Rest spaziert durch Friedrichshain zu Bis Aufs Messer, dem Plattenladen unseres Vertrauens. Die Shakers-7“ hat’s auch dahin geschafft, stellen wir bemüht unbeeindruckt fest. Die Veranstaltungsräume des Riesa Efau liegen ebenfalls im Keller. Die VeranstalterInnen sind supernett und mögen Schnaps. Es kommen ein paar mehr Leute. Nach dem Konzert kehren wir bei Tina ein, die uns noch mit allerlei Snacks umsorgt. Als diese leer sind, zaubert sie Spekulatius hervor. Startschuss für eine spontane Weinachtsfeier.

05.09. – Metz, Autosaboté – Fahrtzeit 8 Stunden

Viel zu früh aufgestanden, um viel zu lange zu fahren. Am Abend vorher haben wir erfahren, dass wir unter einer Autobahnbrücke spielen. Geil. Wir sind aufgeregt. Sie verfliegt beim Warten auf Gäste. Als dann irgendwann der Generator ausfällt, fängt die Stimmung an zu kippen. Für LYPURÁ und uns reißt sich der Generator nochmal zusammen. Vor BAYONÉ macht das Ding die Grätsche.

06.09. – Paris, La Comedia Michelet – Fahrtzeit 3 Stunden

Stimmung schlecht, Frust. Wir fahren morgens früh los, um in Paris noch ein bisschen Sightseeing zu machen. Das hebt die Stimmung ein wenig. Das Konzert am Abend ist großartig, es ist voll, wir spielen gut und alle haben sich lieb. „Just perfect“ ist alles, was ich mir notiere.

07.09. – Bordeaux, La Vôute – Fahrtzeit 6,5 Stunden

Erneut früh aufstehen – lange Fahrt und schöne Stadt. Die letzten Meter durch die Altstadt sind der Horror, mit dem Riesen-Van. Wir Danken den Alliierten dafür, Deutschland einigermaßen nazifrei und autofreundlich gebombt zu haben. Zum Abendessen gibt es 4 verschiedene Quiches, Ratatouille und Reis. Das Konzert ist sehr gut besucht, wir spielen erneut in einem Gewölbekeller. Beim Ausladen wird uns Heroin für lau angeboten. Wir lehnen dankend ab.

08.09. – Sarrià de Ter, Saltamarges Fest – Fahrtzeit 6 Stunden

Saltamarges Fest ist unser erstes Mal in Spanien. Sarrià de Ter ist ein Kaffbei Girona. Es kommen trotzdem 180 Leute. Die VeranstalterInnen sind unfassbar herzlich und nett, die anderen Bands großartig, das Essen gut und das Konzert macht riesigen Spaß. Satt und zufrieden fahren wir über kurvige Landstraßen in das 80-Seelen-Dorf Gaüses zu André, in dessen Haus wir schlafen.

09.09. – Madrid, Wharf 73 – Fahrtzeit 8 Stunden

Nach einer kurzen Nacht werden wir auf der Terasse erstmal vom schönen Ausblick auf den uralten Ortskern von Gaüses überrascht. Wir frühstücken ausgiebig und machen Fotos von und mit Kakteen. Josh will einen von ihnen um eine Feige erleichtern und verbringt zur Strafe die komplette Fahrt nach Madrid damit, sich Stacheln aus der Hand zu popeln. Die Fahrt ist landschaftlich wunderschön, auf das bergige Katalonien folgen Ödnis und Wüste mit 37°C. Wir spielen in einer Bar in der Altstadt von Madrid. Unsere Erwartungshaltung ist niedrig, es ist Sonntag und das Konzert beginnt um 22 Uhr. Nach dem Soundcheck gehen wir vor den Laden und sind überrascht, dass da plötzlich 70 Leute stehen. Das Konzert ist großartig, der Laden beinahe zu klein. Geht doch.

10.09. – Off-Day, Bidart – Fahrtzeit 6 Stunden

Heute kein Konzert. Pech für alle, Glück für uns. Wir mieten spontan ein Ferienhaus an der südfranzösischen Atlantikküste, das nicht unbedingt nach Punk aussieht, preislich aber in etwa so teuer ist wie ein Hostel. Wir haben keine genaue Adresse, laufen verwirrt herum. Ich erkläre den Anwohnern, dass wir nur unser Haus suchen, und nicht da sind, um bei ihnen einzubrechen. Wir verbringen den Abend mit Pizza und Rotwein in und um den Pool und spielen bis 4 Uhr morgens Werwolf. Rock’n’Roll.

11.09. – Argelès-Gazost, Café du Stade – Fahrtzeit 5 Stunden

Nach einem kurzen Abstecher an den Strand machen wir uns auf den Weg in die Pyrenäen nach Argelès-Gazost. Klingt nicht unbedingt nach einer Gegend, in der die Leute auf nihilistisches Rumgeschrei stehen. Guillaume, der Inhaber des Café du Stade aber schon. Er bewirtet uns fürstlich. Auch wenn wir den Laden eher leer spielen, gibt er uns am Ende das Doppelte der eigentlich ausgemachten Gage.

12.09. – Toulouse, La Cave à Rock – Fahrtzeit 3 Stunden

Der Strandbesuch in Bidart war keine gute Idee. Wir verzeichnen 3 Sonnenbrände, 1 taubes Ohr und 1 Paar zugeschleimte Neben- und Stirnhöhlen. In Toulouse suchen wir erstmal eine Apotheke. Danach gehen wir mit Delphine vom Hey Bitches-Kollektiv spazieren. Das Kollektiv, das das heutige Konzert veranstaltet, ist ein reines Frauenkollektiv. Auch in der sich noch so emanzipatorisch gebenden „Szene“, in der wir uns bewegen, leider eine Seltenheit. Das Konzert ist gut besucht und enorm heiß. Es ist mal wieder ein Keller, wir schwitzen wie bescheuert. So viel, dass ein Hemd ausgewrungen und der Schweiß verköstigt wird.

13.09. – Off-day, Lyon – Fahrtzeit 7 Stunden

Wieder kein Konzert, dafür Zeit für einen Stadtspaziergang, der natürlich in einem Plattenladen endet. Wir fahren Ewigkeiten durch das mautfreie Zentralmassiv, um Geld zu sparen. Gegen halb zehn kommen wir in Lyon an. Flo, der bei der großartigen Band SPORT spielt, lässt uns in seinem Wohnzimmer übernachten.

14.09. – Basel, Irrsinn – Fahrtzeit 6 Stunden

Eigentlich sollte die Fahrt maximal 4 Stunden dauern. Dummerweise verpassen wir eine Autobahnabfahrt und fahren plötzlich Richtung Colmar. Da das noch nicht stressig genug ist, springt auch noch das Reservelämpchen an. In letzter Sekunde retten wir uns auf eine Tankstelle. Wir nehmen die Schmugglerroute in die Schweiz, um den Zoll zu umfahren. Keiner hat Bock, den kompletten Van auszuladen und wieder einzuräumen und Steuern finden wir auch doof. Veranstalter Fabian ist ein wahnsinnig netter und professioneller Typ. Natürlich spielen wir in einem Keller, während im Erdgeschoss der Barbetrieb weiterläuft. Der Sound ist überraschend gut, das Bier teuer, aber für uns umsonst. Vorm Schlafengehen lässt Fabian noch eine Runde Absinth springen.

15.09. – Karlsruhe, P8 – Fahrtzeit 3 Stunden

Die Fahrt nach Karlsruhe ist angenehm kurz. Das P8 ist eine Art Gewerbehalle und somit überraschend groß. Wir treffen LYPURÁ wieder, mit denen wir in Metz gespielt haben, die das Konzert veranstalten. CASSUS aus England, die wir auf dem Saltamarges Fest getroffen haben, spielen auch wieder mit.  Das Konzert ist ganz gut besucht – das erste Mal in Deutschland auf dieser Tour. Wir fahren über Nacht nach Hause, die Fahrt ist nicht lang und morgen früh muss der Van wieder nach Köln gebracht werden.

16.09. – Wiesbaden, Kreativfabrik – Fahrtzeit 15 Minuten mit den Öffentlichen

Gemischte Gefühle. Im Endeffekt war die Tour trotz des anfänglichen Frustes super. Irgendwie könnte ich noch 2 Wochen weitermachen. Es ist schön, so viele Freunde auf dem Konzert zu treffen. Allerdings heißt es auch Abschied nehmen von James und Conor. Und morgen müssen die meisten auch schon wieder arbeiten…

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