Lade

Tippen zum Suchen

Stadt Tiere Umwelt

Sinfonien in der Nacht

Was kreucht und fleucht im STUZ-Gebiet? Wilde Tiere vor der Haustür, Teil 54: Die Nachtigall

von Konstantin Mahlow

Wie ein langer, schwarzer Fleck erstreckt sich die Petersaue nachts zwischen den beleuchteten Rheinuferpromenaden von Kastel und Mainz. Ein Stück unbewohnte Dunkelheit mitten im urbanen Leben, in der still und heimlich ein großer Teil des in der Mainzer Innenstadt verbrauchten Trinkwassers mithilfe von 26 Brunnen aus dem Rhein gewonnen wird. Das Wasserwerk stört die Auen-Natur auf der etwa 50 Hektar großen Insel nicht besonders. Das Betreten ist für Unbefugte komplett verboten – eine Seltenheit in der Region. Nicht mal attraktive Anlegeplätze für die vom Platzmangel gebeutelten Yacht-Besitzer existieren direkt an ihren Ufern, was zu einer ebenso erstaunlichen wie erholsamen Stille in den frühen Sommermonaten führt. Umso lauter lässt sich dafür zwischen April und Juni und besonders mit Einbruch der Nacht der Gesang der Nachtigall (Luscinia megarhynchos) von den großen Bäumen der Auen aus wahrnehmen.

„Willst du schon gehn? Der Tag ist ja noch fern. Es war die Nachtigall, und nicht die Lerche, die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang; Sie singt des Nachts auf dem Granatbaum dort. Glaub‘, Lieber, mir: es war die Nachtigall.“ Mit diesen Worten versuchte Julia in Shakespeares Drama den wohl mit einem geringeren Wahrnehmungsvermögen ausgestatteten Romeo davon zu überzeugen, dass es noch tiefe Nacht ist – die Zeit der Nachtigall. Zwar singt der sonst unscheinbar wirkende Vogel aus der Familie der Fliegenschnäpper zur Revierverteidigung sehr wohl auch tagsüber, aber erst zwischen Mitternacht und vier Uhr morgens schmettern die Männchen ihre Balz-Arien mit voller Kraft durch die Auen. An manchen Orten entlang des Oberrheins sind sie so laut und zahlreich, dass auch schon während der Dämmerung, wenn auch die übrigen Singvögel ihre Gesangskünste präsentieren, beinahe nur noch die Nachtigallen zu hören sind – und das so schön und abwechslungsreich, dass man am liebsten applaudieren würde.

Die Nachtigall ist ein Langstreckenzieher. Sie brütet hauptsächlich in Europa und in Teilen Westasiens und kommt meist im April aus Afrika in ihren nördlichen Brutgebieten an. Wenn die Zeit der nächtlichen Konzerte auf der Petersaue beginnt, sorgt das noch auf der Mainzer Uferseite für ein beinahe tropisches Ambiente. Der Gesang gehört zu den faszinierendsten und ausdrucksstärksten in der Vogelwelt: Er ist reich und vielfältig, wie eine Melodie aus unzähligen Tönen, die miteinander verwoben sind. Sie beginnt oft mit klaren, flötenähnlichen Lauten, die sanft und melodisch anmuten und sich im Verlauf des Gesangs zu einem Kunstwerk aus komplexen Strophen steigert. Die Stimme der Nachtigall kann bis zu 250 verschiedene Gesänge umfassen – von klaren, hohen Tönen bis zu tiefen, rauen Klängen. Nicht nur Shakespeare, sondern auch Beethoven und viele andere haben sich von der Stimme der Nachtigall inspirieren lassen. Ab Mitte Mai nimmt die Sounddichte in den Auen allerdings rapide ab, da von da an nur noch die unverpaarten Männchen singen.

Alle anderen Männchen unterwerfen sich den Verpflichtungen des Vaterwerdens: Statt nachts am Flussufer mit den Kumpels den Mädels nachzupfeifen und ordentlich abzurocken, ist von nun an (Achtung, Shakespeare!) nestflixen angesagt. Also irgendwie vergleichbar mit den Menschen, wenn sich der Frühling des Lebens in Richtung Sommer und schließlich Herbst verabschiedet. Für die Nachtigallen steht dann Ende August der Rückweg in den warmen Süden an. Doch jetzt, von Ende Mai bis Mitte Juni, lässt sich ihr Gesang hier und da noch wahrnehmen. Zumindest, solange es tiefe Nacht ist und man nicht auf Teufel komm raus die Zeit zurückdrehen möchte, bis man nicht mehr merkt, dass die Nacht vorüber und die Nachtigall bereits verstummt ist. Sonst hätte Romeo in der ornithologischen Diskussion mit Julia am Ende vielleicht doch Recht gehabt: „Die Lerche war´s, die Tagverkünderin, nicht Philomele; sieh den neid´schen Streif, der dort im Ost der Frühe Wolken säumt: Die Nacht hat ihre Kerzen ausgebrannt, der muntre Tag erklimmt die dunst´gen Höh’n: Nur Eile rettet mich, Verzug ist Tod.“

Foto: Bernard Dupont, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons

Tags
Vorheriger Artikel