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Unheimliche Mitbewohner

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Was kreucht und fleucht im STUZ-Gebiet? Wilde Tiere vor der Haustür, Teil 23: Der Spinnenläufer

von Konstantin Mahlow

Der Klimawandel verändert unsere Umwelt unwiderruflich. Und er tut das deutlich schneller, als bisher angenommen. Die aufzehrende Dürre, die den Lennebergwald in eine Savanne verwandelt und den Rhein, immerhin einer der verkehrsreichsten Wasserstraßen der Welt, für Schiffe unbefahrbar macht, wurde von vielen Wissenschaftlern erst in frühestens 20 Jahren erwartet. Der Anpassungsdruck, der daraus auf Tier und Mensch einwirkt, ist für alle Beteiligten völlig neu – mit noch nicht vorhersehbaren Folgen. Dabei sind es nicht nur die offensichtlichen Veränderungen, die uns vor Herausforderungen stellen. Manchmal verstecken sie sich auch in Mauerspalten oder Ritzen, kriechen nachts aus dem Keller und sorgen unfreiwillig für Schreikrämpfe unter ihren ahnungslosen Mitbewohnern. Spinnenläufer zählen zu den zahlreichen Spezies, die dank der erhöhten Temperaturen im STUZ-Gebiet eine neue Heimat gefunden haben – zum Entsetzen vieler.

Unheimlich heimlich

Auf den ersten Blick wirkt der Spinnenläufer (Scutigera coleoptrata), mancherorts auch Spinnenassel genannt, wie eine Mischung aus Spinne und Tausendfüßler. Ihr schmaler, olivgrüner bis gelber Körper wird bis zu drei Zentimeter lang, mit ihren zwei riesigen Antennen und insgesamt 15 Beinpaaren können sie einen Umfang von 15 Zentimetern erreichen. Zum Vergleich: Die größte heimische Spinnenart, die auch in Mainz und Wiesbaden weit verbreitete Hauswinkelspinne, kommt inklusive Beinlänge auf zehn Zentimeter. Charakteristisch für den Spinnenläufer sind darüber hinaus drei Längsstreifen auf dem Körper, die schwarz geringelten Beine und die auffälligen Komplexaugen. Innerhalb der heimischen Fauna und insbesondere der Arten, die gerne und bewusst in menschliche Gebäude eindringen, sind sie mit ihrer Größe und Gestalt unverwechselbar. Auch wenn noch nicht viele sie ob ihrer heimlichen Lebensweise überhaupt schon mal gesehen haben.

Das ist vielleicht auch gut so. Spinnenläufer bringen ein neues Potenzial des Schreckens für diejenigen mit, die auch vor Spinnen eine ausgeprägte Angst haben. Rund fünf Prozent der Menschen in Deutschland leiden unter Arachnophobie. Für sie könnte die Ankunft der fremden Vielbeiner ein echtes Problem werden. Originäre Zitterspinnen lassen sich wenigstens noch aus sicherer Entfernung in ihrem Netz beobachten. Andere Arten sind schon problematischer, wenn sie sich an langen Fäden aus ihren Verstecken abseilen und neue Lebensräume erkunden. Spinnenläufer dagegen spinnen keine Netze, sondern verlassen nachts ihren Unterschlupf, um nach Insekten und anderen Spinnentieren zu jagen. Im Reich der Gliedertiere zählen sie zu den schnellsten Vertretern überhaupt, was sie für Betroffene eine Tierphobie nicht unbedingt zutraulicher macht. Kaum hat man ein handflächengroßes Exemplar an der Wand entdeckt, hat sich es auch schon wieder in den Weiten der Wohnung verkrümelt.

Spinnenläufer können aber nicht nur unheimlich auf uns wirken, zuweilen enden Begegnungen auch äußerst schmerzhaft. Von sich aus versuchen sie bei Gefahr zu fliehen. In die Ecke gedrängt können sie aber durchaus mit ihren Mandibeln genannten Mundwerkzeugen zubeißen. Dabei injizieren sie ein Gift, mit dem sie ihre Beute lähmen, das für Menschen aber ungefährlich ist. Der Schmerz kann jedoch heftig ausfallen, vergleichbar mit dem Stich einer Wespe. Infektionen oder allergische Reaktionen können die Folge sein. Auch zu neugierige Haustiere, die Spinnenläufern nachstellen, können unangenehme, aber nicht tödliche Bisse abbekommen.

Quo vadis, Spinnenläufer

Biologen vermuten heute, dass bereits die Römer die ersten Spinnenläufer unabsichtlich über die Alpen verfrachteten. Lange Zeit war wohl der Oberrheingraben einer der wenigen geeigneten Wärmeinseln in Deutschland, in der sich die Tiere etablieren konnten. Mittlerweile wurden die ersten Exemplare in Berlin und Bremen gesichtet. Der Klimawandel wird aber nicht nur dafür sorgen, dass sich Spinnenläufer immer nördlicher ausbreiten werden, sondern auch, dass die bestehenden Populationen wachsen. So ist es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bevor jeder einmal das Vergnügen mit einem der nachtaktiven Räuber haben wird. Winzer hingegen schätzen ihre Anwesenheit in den Weinbergen, weil sie eifrig Schädlinge vertilgen. Diese positive Betrachtung könnte man durchaus gegenüber Spinnenläufern und auch normalen Spinnen in den eigenen vier Wänden übernehmen – sofern die Angst das zulässt.

Foto: Kevin Collins

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